Die Geisha - Memoirs of a Geisha
nach Feiern zumute. Erst als die Herrin des Teehauses mir eine Frage stellte und mich mit »Sayuri« ansprach, wurde mir klar, was mich so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Es war, als hätte das kleine Mädchen namens Chiyo, das barfuß vom Teich zu ihrem beschwipsten Haus gelaufen war, aufgehört zu existieren. Und ich hatte das Gefühl, als hätte dieses neue Mädchen Sayuri mit ihrem leuchtendweißen Gesicht und den roten Lippen es getötet.
Mameha wollte den frühen Nachmittag damit verbringen, mich in Gion herumzuführen und den Herrinnen der verschiedenen Teehäuser und Okiyas vorzustellen, mit denen sie in Verbindung stand. Aber wir brachen nicht unmittelbar nach der Mahlzeit auf, sondern sie brachte mich in ein Zimmer des Ichiriki und forderte mich auf, mich hinzusetzen. Natürlich »sitzt« eine Geisha nicht, wenn sie einen Kimono trägt; das, was wir Sitzen nennen, würden andere Leute vermutlich als knien bezeichnen. Wie dem auch sei, nachdem ich mich gesetzt hatte, verzog sie das Gesicht und forderte mich auf, es zu wiederholen. Meine Gewänder waren so hinderlich, daß es mehrerer Versuche bedurfte, bis ich es richtig machte. Mameha gab mir ein kleines Schmuckstück in Form eines Flaschenkürbis und zeigte mir, wie man es am Obi befestigt. Dieser Kürbis, hohl und leicht, soll nämlich ein Gegengewicht zum Körper abgeben, und so manche ungeschickte junge Lerngeisha hat sich darauf verlassen, daß er sie vor dem Umkippen bewahrt.
Mameha unterhielt sich eine Weile mit mir und bat mich dann, als wir schon aufbrechen wollten, ihr eine Schale Tee einzuschenken. Die Kanne war leer, aber sie wies mich an, einfach nur so zu tun. Sie wollte sehen, wie ich dabei meinen Ärmel beiseite schob. Ich glaubte genau zu wissen, worauf sie achten würde, und tat mein Bestes, aber Mameha war nicht zufrieden mit mir.
»Zunächst einmal«, begann sie, »wessen Schale willst du füllen?«
»Ihre!« sagte ich.
»Na schön, aber um Himmels willen, mich brauchst du nicht zu beeindrucken. Tu so, als wäre ich jemand anders. Bin ich ein Mann oder eine Frau?«
»Ein Mann«, entschied ich.
»Nun gut. Schenk mir noch einmal ein.«
Das tat ich, während Mameha sich fast den Hals verrenkte, um in meinen Ärmel sehen zu können, während ich den Arm ausgestreckt hielt.
»Na, wie gefällt dir das?« fragte sie mich. »Denn das ist genau das, was passieren wird, wenn du den Arm so hoch oben hältst.«
Ich versuchte abermals einzuschenken, diesmal mit tiefer gehaltenem Arm. Jetzt aber tat sie, als müsse sie gähnen, wandte sich ab und begann ein Gespräch mit einer imaginären Geisha neben ihr.
»Ich nehme an, Sie versuchen mir zu sagen, daß ich Sie langweile«, sagte ich. »Aber wie kann ich Sie langweilen, wenn ich eine Schale Tee einschenke?«
»Es gefällt dir vielleicht nicht, daß ich in deinen Ärmel schauen will, doch das bedeutet nicht, daß du zimperlich sein mußt! Jeder Mann ist nur an einer einzigen Sache interessiert. Glaub mir, du wirst nur allzubald erfahren, wovon ich rede. Bis es soweit ist, kannst du ihn bei Laune halten, indem du ihn in dem Glauben läßt, er dürfe Teile deines Körpers sehen, die kein anderer zu sehen bekommt. Wenn sich eine Lerngeisha so verhält wie du eben – Tee einschenkt, wie es eine Dienerin tun würde –, wird der Ärmste alle Hoffnung fahren lassen. Versuch’s noch einmal, aber zeig mir zuerst deinen Arm.«
Also schob ich den Ärmel bis über den Ellbogen hoch und streckte den Arm aus, damit sie ihn begutachten konnte. Sie ergriff ihn und drehte ihn in ihren Händen, um ihn von oben und unten zu betrachten.
»Du hast einen bezaubernden Arm und eine wunderschöne Haut. Du solltest dafür sorgen, daß jeder Mann, der in deiner Nähe sitzt, ihn wenigstens einmal zu sehen bekommt.«
Also fuhr ich fort, immer wieder Tee einzuschenken, bis Mameha entschied, daß ich nun den Ärmel gerade eben weit genug beiseite zog, um meinen Arm sehen zu lassen, ohne daß es allzu offensichtlich wirkte. Schob ich den Ärmel bis zum Ellbogen empor, wirkte ich lächerlich: Der Trick bestand darin, so zu tun, als zupfte ich nur an ihm, ihn aber gleichzeitig ein paar Fingerbreit über mein Handgelenk hinaufzuziehen, um meinen Unterarm sehen zu lassen. Der hübscheste Teil des Arms sei die Unterseite, erklärte mir Mameha, deswegen müsse ich stets dafür sorgen, die Kanne so zu halten, daß der Mann sie sehen könne.
Sie bat mich, abermals einzuschenken, und diesmal tat ich, als füllte ich
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