Die Geisha - Memoirs of a Geisha
ist sie«, sagte Hatsumomo. »Aber nein, es ist viel zu unangenehm… Ich sollte es Ihnen wirklich nicht erzählen. Sie scheint ein so nettes Mädchen zu sein…«
»Ich habe nicht viel von ihr mitbekommen«, sagte ein Mann. »Aber sie ist sehr hübsch.«
»Sie hat ganz außergewöhnliche Augen«, sagte eine der Geishas.
»Neulich habe ich gehört, wie ein Mann etwas ganz anderes über ihre Augen gesagt hat«, sagte Hatsumomo. »Wissen Sie, was? Daß ihre Augen die Farbe zerquetschter Würmer hätten.«
»Zerquetschter Würmer? Noch nie habe ich gehört, daß jemand eine Farbe so beschrieben hat.«
»Ich werde Ihnen anvertrauen, was ich über sie gehört habe«, fuhr Hatsumomo fort. »Aber Sie müssen mir versprechen, daß Sie es nicht weitersagen werden. Sie hat irgendeine Krankheit, deswegen sieht ihr Busen aus wie der einer sehr alten Frau – schlaff und total verschrumpelt –, es ist wirklich abstoßend! Ich habe sie einmal im Badehaus gesehen…«
Mameha und ich waren stehengeblieben, um zu lauschen, doch als wir das hörten, versetzte sie mir einen leichten Stoß, und wir verließen gemeinsam die Gasse. Einen Moment blieb Mameha noch stehen, um die Straße hinauf und hinab zu blicken, dann sagte sie:
»Ich versuche zu überlegen, wohin wir noch gehen könnten, aber… mir fällt nichts ein. Wenn diese Frau uns hier gefunden hat, dann kann sie uns vermutlich überall in Gion finden. Bis wir uns einen neuen Plan ausgedacht haben, Sayuri, solltest du in deine Okiya zurückkehren.«
Eines Nachmittags während des Zweiten Weltkriegs, einige Jahre nach den Ereignissen, von denen ich Ihnen jetzt berichten will, zog ein Offizier auf einer Party unter einem Ahornbaum seine Pistole aus dem Holster und legte sie auf die Strohmatte, um mich zu beeindrucken. Ich weiß noch, daß mir auffiel, wie schön diese Waffe war. Das Metall schimmerte in mattem Grau, die Rundungen waren perfekt und glatt. Der geölte Holzgriff war reich gemasert. Doch als ich, während ich seinen Erzählungen lauschte, an ihren eigentlichen Zweck dachte, war sie auf einmal gar nicht mehr schön, sondern furchterregend.
Genau das gleiche geschah in meinen Augen mit Hatsumomo, nachdem sie meinem Debüt ein Ende gesetzt hatte. Das soll nicht heißen, daß ich sie zuvor noch nie als furchterregend empfunden hatte. Aber ich hatte sie immer um ihre Schönheit beneidet, während ich das jetzt nicht mehr tat. Statt allabendlich an Banketts und zehn bis fünfzehn Partys teilzunehmen, saß ich in der Okiya und übte mich im Tanz und Shamisen-Spiel, als hätte sich seit letztem Jahr nichts geändert. Wenn Hatsumomo in ihrem ganzen Staat an mir vorbeirauschte und ihr weiß geschminktes Gesicht über dem dunklen Gewand schimmerte wie der Mond am dunstigen Nachthimmel, hätte selbst ein Blinder sie schön gefunden. Aber ich empfand nichts als Haß, und das Blut rauschte mir in den Ohren.
Während der folgenden Tage wurde ich mehrmals zu Mameha in die Wohnung gerufen. Jedesmal hoffte ich, sie würde sagen, daß sie eine Möglichkeit gefunden habe, Hatsumomo zu umgehen, aber sie wollte nichts weiter von mir als ein paar Botengänge, die sie ihrer Dienerin nicht anvertrauen konnte. Eines Nachmittags fragte ich sie, ob sie wisse, was aus mir werden würde.
»Ich fürchte, im Moment bist du eine Verbannte, Sayuri-san«, erwiderte sie. »Ich hoffe, du bist fester denn je entschlossen, diese bösartige Frau zu vernichten! Aber bis ich einen Plan habe, wird es dir nichts nutzen, mir durch Gion zu folgen.«
Natürlich war ich tief enttäuscht, das zu hören, aber Mameha hatte recht. Hatsumomos Hohn würde mir in den Augen der Männer und auch der Frauen von Gion so sehr schaden, daß es besser war, wenn ich zu Hause blieb.
Zum Glück war Mameha sehr einfallsreich, und so gelang es ihr, von Zeit zu Zeit Engagements zu finden, an denen ich ungefährdet teilnehmen konnte. Aus Gion hatte mich Hatsumomo zwar vertrieben, doch von der Welt dahinter konnte sie mich nicht fernhalten. Wenn Mameha Gion verließ, um zu einem Engagement zu gehen, lud sie mich häufig ein mitzukommen. So fuhr ich zum Beispiel für einen Tag nach Kobe, wo Mameha bei einer Fabrikeinweihung das Band durchschnitt. Ein andermal begleitete ich mit ihr den ehemaligen Generaldirektor der Nippon Telephon & Telegraph in seiner Limousine auf einer Rundfahrt durch Kyoto. Diese Rundfahrt machte einen tiefen Eindruck auf mich, denn ich sah zum erstenmal die riesengroße Stadt Kyoto außerhalb der
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