Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Mameha unterhielt, nicht nur große Aristokraten wie den Baron, sondern auch den Direktor – idiotisch! Selbst der Theaterdirektor einige Abende zuvor hatte mir kaum einen kurzen Blick gegönnt. Ich will nicht sagen, daß ich zuvor nicht auch das Gefühl gehabt hätte, der Gesellschaft des Barons kaum würdig zu sein, aber nun hielt ich mir wieder einmal vor Augen, daß ich nur ein unwissendes Mädchen aus einem Fischerdorf war. Wenn es nach Hatsumomo ging, hielt man mich so tief geduckt, daß jeder Mann, der Gion besuchte, für immer außerhalb meiner Reichweite blieb. Da konnte es gut sein, daß ich Baron Matsunaga nie wiedersehen und dem Direktor niemals wieder begegnen würde. Wäre es nicht möglich, daß Mameha erkannte, wie aussichtslos mein Fall war und mich in der Okiya versauern ließ wie einen kleinen, wenig getragenen Kimono, der im Laden so bezaubernd ausgesehen hat? Der Baron – der, wie ich bemerkte, ein ziemlich nervöser Mann war – beugte sich vor, um etwas von Mamehas Tischplatte zu kratzen. Ich mußte an meinen Vater denken, der am letzten Tag, da ich ihn gesehen hatte, mit den Fingernägeln den Schmutz aus einer Furche im Holz kratzte. Ich fragte mich, was er wohl von mir denken würde, wenn er mich jetzt sehen könnte, wie ich in Mamehas Wohnung kniete, in einem Kimono, der kostbarer war als alles, was er je gesehen hatte, mir gegenüber ein Baron und an meiner Seite eine der berühmtesten Geishas von ganz Japan. Ich war dieser Umgebung kaum würdig. Doch dann wurde ich mir der herrlichen Seidenstoffe bewußt, in denen mein Körper steckte, und ich hatte das Gefühl, in Schönheit zu ertrinken. In diesem Moment erschien mir Schönheit an sich wie eine Art schmerzliche Melancholie.
16. KAPITEL
Eines Nachmittags, als Mameha und ich über die Brücke der Shijo-Avenue schlenderten, um im Pontocho-Viertel ein paar neue Schmuckstücke für die Frisur zu erstehen – Mameha gefielen die Haarschmuckläden in Gion nicht –, machte sie unvermittelt halt. Ein alter Schleppkahn tuckerte unter der Brücke hindurch. Ich dachte, Mameha sei nur wegen der schwarzen Dampfwolken besorgt, doch nach einer Weile wandte sie sich mit einem Ausdruck zu mir um, den ich nicht gleich enträtseln konnte.
»Was ist, Mameha-san?« fragte ich sie.
»Ich kann es dir auch gleich sagen, weil du es sonst von jemand anders erfährst«, begann sie. »Deine kleine Freundin Kürbisköpfchen hat den Nachwuchspreis gewonnen. Und man erwartet, daß sie ihn auch ein zweitesmal gewinnen wird.«
Dabei ging es um einen Preis für die Lerngeisha, die im vergangenen Monat am meisten verdient hatte. Es mag seltsam klingen, daß ein solcher Preis existierte, aber es gab einen sehr guten Grund dafür. Indem man die Lehrlinge anspornte, soviel Geld wie möglich zu verdienen, trug man dazu bei, sie zu jener Art Geisha zu formen, die in Gion am begehrtesten war – zu Geishas, die nicht nur für sich selbst viel Geld verdienten, sondern auch für alle anderen.
Mehrmals schon hatte Mameha vorausgesagt, daß sich Kürbisköpfchen ein paar Jahre lang angestrengt bemühen und dann als eine jener Geishas enden werde, die ein paar treue Kunden – keiner davon begütert – haben und sonst kaum etwas. Es war ein trauriges Bild, das sie da malte, und es freute mich zu hören, daß Kürbisköpfchen bessere Erfolge verzeichnete. Doch gleichzeitig spürte ich, wie mir die Furcht im Magen prickelte. Kürbisköpfchen schien eine der beliebtesten Lerngeishas von Gion zu sein, während ich wohl die unbekannteste war. Als ich mich zu fragen begann, was das für meine Zukunft bedeuten könnte, schien sich die Welt um mich herum wahrhaftig zu verdüstern.
Als ich dort auf der Brücke stand und darüber nachdachte, fand ich an Kürbisköpfchens Erfolg am erstaunlichsten, daß sie es geschafft haben sollte, ein exquisites junges Mädchen namens Raiha zu überflügeln, das den Preis in den vergangenen Monaten gewonnen hatte. Raihas Mutter war eine berühmte Geisha gewesen, ihr Vater gehörte zu einer der berühmtesten Familien Japans, die über einen unermeßlichen Reichtum verfügte. Jedesmal, wenn Raiha an mir vorbeischlenderte, fühlte ich mich, wie ein einfacher Stint sich fühlen muß, wenn ein Silberlachs an ihm vorübergleitet. Wie hatte es Kürbisköpfchen geschafft, sie zu überrunden? Gewiß, Hatsumomo hatte sie vom ersten Tag ihres Debüts an gnadenlos gefordert – so sehr, daß sie stark abgenommen hatte und kaum noch wie sie selbst aussah –,
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