Die Geisha - Memoirs of a Geisha
für Tantchens Arthritis lieferte. Nachdem eine unserer älteren Dienerinnen das Päckchen entgegengenommen hatte, wollte ich mich wieder meinem Shamisen zuwenden, als ich merkte, daß der Mann meine Aufmerksamkeit zu erregen suchte. Er hielt einen Zettel so in der Hand, daß nur ich ihn sehen konnte. Unser Mädchen wollte die Tür schon wieder schließen, da sagte er zu mir: »Verzeihen Sie, wenn ich Sie bemühe, Fräulein, aber würden Sie das hier für mich wegwerfen?« Die Dienerin fand das seltsam, ich aber nahm den Zettel und tat, als werfe ich ihn im Dienstbotenzimmer weg. Es war eine unsignierte Nachricht in Mamehas Handschrift.
»Bitte Tantchen um Erlaubnis, die Okiya verlassen zu dürfen. Sag ihr, ich habe Arbeit für Dich in meiner Wohnung, und sei um spätestens ein Uhr hier. Sag sonst niemandem, wohin du gehst!«
Ich bin sicher, daß Mamehas Vorsichtsmaßnahmen vernünftig waren, aber Mutter aß mit einer Freundin zu Mittag, und Hatsumomo war mit Kürbisköpfchen bereits zu einem nachmittäglichen Engagement aufgebrochen. Niemand außer Tantchen und den Dienerinnen hielt sich noch in der Okiya auf. Ich ging schnurstracks in Tantchens Zimmer, wo sie gerade eine schwere Baumwolldecke über ihren Futon breitete, weil sie einen Mittagsschlaf halten wollte. Während ich mit ihr sprach, stand sie kältezitternd in ihrem Nachthemd vor mir. Kaum hörte sie, daß Mameha mich zu sich bestellt hatte, da wollte sie nicht einmal mehr den Grund dafür wissen. Sie winkte mich einfach stumm hinaus und kroch zum Schlafen unter die Decke.
Als ich Mamehas Wohnung erreichte, weilte sie noch bei einem Vormittagsengagement, doch ihre Dienerin führte mich ins Ankleidezimmer, um mir beim Schminken zu helfen, und brachte mir dann das Kimono-Ensemble, das Mameha für mich herausgelegt hatte. Inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt, Mamehas Kimonos zu tragen, doch eigentlich ist es höchst ungewöhnlich, daß eine Geisha Gewänder aus ihrer Sammlung verleiht. Zwei Freundinnen in Gion mögen wohl einmal für ein, zwei Nächte ihre Kimonos tauschen, doch daß eine Geisha einem jungen Mädchen eine derartige Freundlichkeit erweist, ist äußerst selten. Tatsächlich machte Mameha sich meinetwegen viele Umstände, denn sie selbst trug keine Kimonos mit langen Hängeärmeln mehr und mußte sie eigens aus einem Lager herbeischaffen lassen. Oft fragte ich mich, ob sie wohl erwartete, irgendwie dafür entlohnt zu werden.
Der Kimono, den sie an jenem Tag für mich herausgelegt hatte, war der bisher schönste: aus orangeroter Seide mit einem silbernen Wasserfall, der sich auf Kniehöhe in ein schieferblaues Meer stürzte. Der Wasserfall wurde von braunen Klippen durchbrochen, und unten schwamm knotiges, mit gelacktem Faden gesticktes Treibholz. Ich wußte es natürlich nicht, aber der Kimono war in Gion gut bekannt, und die Menschen, die ihn sahen, dachten vermutlich sofort an Mameha. Indem sie mir erlaubte, ihn zu tragen, übertrug sich, glaube ich, ein wenig von ihrer Aura auf mich.
Nachdem Herr Itchoda mir den Obi gebunden hatte – rostrot und braun, mit Goldfäden durchwirkt –, legte ich letzte Hand an mein Make-up und den Schmuck in meinem Haar. Das Taschentuch des Direktors – das ich, wie so oft, aus der Okiya mitgebracht hatte – schob ich in meinen Obi und stellte mich dann vor den Spiegel, um mich zu bewundern. Und als wäre Mamehas Wunsch, mich so schön herausgeputzt zu sehen, nicht schon erstaunlich genug, legte sie nach ihrer Rückkehr in die Wohnung einen relativ schlichten Kimono an: Er war kartoffelbraun mit einer zartgrauen Schraffur, während ihr Obi ein schlichtes schwarzes Rautenmuster auf tiefblauem Grund aufwies. Wie immer strahlte sie die vornehm-zurückhaltende Schönheit einer Perle aus, doch als wir gemeinsam die Straße entlanggingen, starrten die Frauen, die sich vor Mameha verneigten, nur mich an.
Vom Gion-Schrein aus fuhren wir eine halbe Stunde lang mit einer Rikscha Richtung Norden bis in einen Teil von Kyoto, den ich nicht kannte. Unterwegs teilte mir Mameha mit, daß wir einen Sumo-Ringkampf sehen würden, und zwar als Gäste von Iwamura Ken, dem Gründer der Iwamura Electric in Osaka –übrigens die Firma, die das Heizgerät hergestellt hatte, durch das Großmama gestorben war – und seinem Partner Nobu Toshikazu, der Präsident der Gesellschaft war. Nobu war ein großer Fan des Sumo-Ringens und hatte das Turnier an diesem Nachmittag mit organisiert.
»Ich sollte dich warnen«, sagte sie
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