Die Geisha - Memoirs of a Geisha
aber hätte Kürbisköpfchen nur durch harte Arbeit wirklich beliebter werden können als Raiha?
»Ach, nun hör aber auf!« sagte Mameha. »Mach kein so trauriges Gesicht. Du solltest dich freuen!«
»Ja, es ist wirklich sehr selbstsüchtig von mir«, gab ich zu.
»Das meine ich nicht. Hatsumomo und Kürbisköpfchen werden für diese Auszeichnung teuer bezahlen müssen. In fünf Jahren wird sich keiner mehr an Kürbisköpfchen erinnern.«
»Mir scheint«, wandte ich ein, »daß jeder sie als das Mädchen in Erinnerung behalten wird, das Raiha übertrumpft hat.«
»Niemand hat Raiha übertrumpft. Kürbisköpfchen mag im letzten Monat am meisten Geld verdient haben, doch die beliebteste Lerngeisha von Gion ist immer noch Raiha. Komm mit, ich werd’s dir erklären.«
Mameha ging mit mir in ein Restaurant im Pontocho-Viertel und setzte sich mit mir an einen Tisch.
In Gion, sagte Mameha, kann eine sehr beliebte Geisha immer dafür sorgen, daß ihre jüngere Schwester mehr verdient als alle anderen – falls sie bereit ist, ihren eigenen Ruf aufs Spiel zu setzen. Der Grund dafür hat mit der Art zu tun, wie die ohana, das »Blumengeld«, berechnet wird. Früher, vor hundert und noch mehr Jahren, entzündete die Herrin des Teehauses jedesmal, wenn eine Geisha zur Unterhaltung der Gäste kam, ein Räucherstäbchen, das eine Stunde brannte. Dieses Stäbchen wurde ohana – Blume – genannt.
Der Preis einer ohana wird durch das Registerbüro in Gion festgesetzt. Zu meiner Lehrlingszeit waren es drei Yen, etwa der Preis von zwei Flaschen Sake. Das mag nach viel Geld klingen, doch eine unbeliebte Geisha, die eine ohana pro Stunde verdient, führt ein karges Leben. Vermutlich verbringt sie ganze Abende vor dem Holzkohlebecken und wartet auf ein Engagement, und selbst wenn sie zu tun hat, wird sie an einem Abend wohl kaum mehr als zehn Yen verdienen, was nicht einmal genügen würde, um ihre Schulden zurückzuzahlen. In Anbetracht des ungeheuren Reichtums, der nach Gion hineinfließt, ist sie, verglichen mit Hatsumomo oder Mameha, die sich wie Löwinnen an der Beute gütlich tun, nicht mehr als ein Insekt, das am Kadaver herumpickt. Denn eine Geisha wie Hatsumomo hat nicht nur täglich Engagements bis tief in die Nacht, sondern verlangt auch jede Viertelstunde eine ohana statt jede Stunde. Und in Mamehas Fall… nun ja, sie war einmalig in Gion, deswegen verlangte sie alle fünf Minuten eine ohana.
Natürlich behält keine Geisha all ihre Einnahmen für sich, nicht einmal Mameha. Das Teehaus, in dem sie ihre Gage verdient, bekommt einen Anteil, ein weitaus kleinerer Anteil geht an die Geishavereinigung, ein weiterer Anteil an ihren Ankleider und so weiter, bis hin zu dem Betrag, den sie an eine Okiya bezahlt, die ihre Bücher führt und ihre Termine festlegt. Sie selbst behält vermutlich nur etwas mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen. Dennoch ist das eine enorme Summe, wenn man sie mit dem Lebensunterhalt einer unbeliebten Geisha vergleicht, die von Tag zu Tag tiefer absinkt.
Und so kann eine Geisha wie Hatsumomo bewirken, daß ihre jüngere Schwester erfolgreicher aussieht, als sie in Wirklichkeit ist: Zunächst einmal ist eine beliebte Geisha in Gion auf nahezu jeder Party willkommen, bleibt aber auf vielen nur fünf Minuten. Ihre Kunden bezahlen ihre Gage gern, auch wenn sie nur kurz bei ihnen hereinschaut. Sie wissen, daß diese Geisha sich das nächstemal, wenn sie nach Gion kommen, vermutlich für eine Weile zu ihnen an den Tisch setzen wird. Eine Lerngeisha kann sich ein solches Verhalten nicht leisten. Ihre Aufgabe ist es, Verbindungen zu knüpfen. Bis sie mit achtzehn Jahren eine vollwertige Geisha wird, darf sie nicht einmal daran denken, von einer Party zur anderen zu ziehen. Statt dessen bleibt sie eine Stunde oder länger und ruft erst dann in ihrer Okiya an, um sich zu erkundigen, wo ihre ältere Schwester sich aufhält, damit sie ein anderes Teehaus aufsuchen und sich einer neuen Gästerunde vorstellen lassen kann. Während ihre beliebte ältere Schwester an einem Abend möglicherweise bis zu zwanzig Partys aufsucht, sind es bei der Lerngeisha höchstens fünf. Hatsumomo machte es jedoch anders. Sie ließ sich von Kürbisköpfchen überallhin begleiten.
Bis zum Alter von sechzehn Jahren berechnet eine Lerngeisha eine halbe ohana pro Stunde. Wenn Kürbisköpfchen nur fünf Minuten auf einer Party blieb, wurde dem Gastgeber jedoch der gleiche Betrag berechnet, als wäre sie eine volle Stunde geblieben.
Weitere Kostenlose Bücher