Die Geisha - Memoirs of a Geisha
dem Finger darüber und… Es ist wirklich nur eine winzige Erhebung. Ungefähr so.«
Mit dem Zeigefinger strich ich über einen meiner Handknöchel und streckte die Hand dann dem Doktor hin, damit er es mir nachmachte. Er hob schon die Hand, zögerte dann aber. Ich sah, wie sein Blick zu dem meinen emporzuckte. Schnell zog er seine Hand zurück und strich statt dessen über seinen eigenen Knöchel.
»Ein solcher Schnitt hätte ganz glatt verheilen müssen«, erklärte er mir.
»Vielleicht ist die Erhebung nicht so groß, wie ich sagte. Aber schließlich ist mein Bein sehr… nun ja, empfindlich, verstehen Sie? Schon wenn ein Regentropfen darauf fällt, beginne ich vor Kälte zu zittern.«
Ich will nicht so tun, als hätte mein Gerede irgendeinen Sinn ergeben. Eine Narbe wirkt nicht dicker, nur weil das Bein empfindlich ist, und außerdem – wann hatte ich zum letztenmal einen Regentropfen auf meinem nackten Bein gespürt? Doch nun, da ich wußte, warum sich Dr. Krebs für mich interessierte, war ich, wie ich vermute, halb abgestoßen und halb fasziniert, während ich mir überlegte, was wohl in seinem Kopf vorging. Wie dem auch sei, der Doktor räusperte sich und beugte sich zu mir hinüber.
»Und… hast du inzwischen geübt?«
»Geübt?«
»Du hast dir diesen Schnitt geholt, weil du die Balance verloren hast, als du… nun ja, du weißt schon, was ich meine. Und du willst doch sicher nicht, daß dir das noch einmal passiert. Deswegen denke ich mir, daß du geübt hast. Aber wie übt man so etwas?«
Dann lehnte er sich zurück und schloß die Augen. Mir wurde klar, daß er von mir eine Antwort erwartete, die länger war als nur ein bis zwei Wörter.
»Nun, Sie werden mich vermutlich für sehr dumm halten, doch jeden Abend…«, begann ich und mußte einen Moment überlegen. Das Schweigen zog sich in die Länge, aber der Doktor machte die Augen nicht wieder auf. Er wirkte auf mich wie ein Vogeljunges, das blind auf den Schnabel der Mutter wartet. »Jeden Abend«, fuhr ich fort, »bevor ich ins Bad steige, übe ich, in allen möglichen Positionen das Gleichgewicht zu halten. Manchmal zittere ich von der kalten Luft auf meiner nackten Haut, aber auf diese Art verbringe ich stets fünf bis zehn Minuten.«
Der Doktor räusperte sich, was ich für ein gutes Zeichen hielt.
»Zuerst versuche ich auf einem Fuß zu balancieren, dann auf dem anderen. Aber das Dumme ist,…«
Bis zu diesem Moment hatte sich der Baron auf der anderen Seite der Plattform mit den übrigen Gästen unterhalten, doch er beendete seine Geschichte sehr unvermittelt, so daß die nächsten Worte, die ich sprach, so deutlich zu hören waren, als hätte ich auf einem Podium gestanden und sie lauthals verkündet.
»…wenn ich nichts anhabe…«
Hastig schlug ich mir die Hand vor den Mund, aber bevor ich mir überlegen konnte, was ich tun sollte, sagte der Baron: »Du meine Güte! Was immer ihr beiden da drüben euch zu erzählen habt – es klingt wahrhaftig interessanter als das, wovon wir hier gesprochen haben!«
Als die Männer das hörten, lachten sie. Danach war der Doktor so freundlich, ihnen eine Erklärung zu geben.
»Sayuri-san kam Ende letzten Jahres mit einer Beinverletzung zu mir«, sagte er, »die sie sich bei einem Sturz zugezogen hatte. Aus diesem Grund schlug ich ihr vor, ihren Gleichgewichtssinn durch Übungen zu verbessern.«
»Sie hat wirklich sehr fleißig daran gearbeitet«, ergänzte Mameha, »denn diese schweren Kimonos behindern weit mehr, als man es sich vorstellen kann.«
»Dann sollte sie ihn sofort ausziehen!« verlangte einer der Männer – aber das war natürlich nur ein Scherz, und alle lachten.
»O ja, bitte!« sagte der Baron. »Im Grunde kann ich nicht verstehen, warum die Frauen sich die Mühe machen, überhaupt erst einen Kimono anzuziehen. Nichts ist so schön wie eine Frau ohne einen Faden am Leib.«
»Das gilt aber nicht für die Kimonos meines lieben Freundes Arashino«, behauptete Nobu.
»Nicht mal Arashinos Kimonos sind so bezaubernd wie das, was sie verdecken«, sagte der Baron und versuchte seine Saketasse auf die Plattform zu stellen, wobei er jedoch alles verschüttete. Er war nicht unbedingt berauscht, hatte mit Sicherheit aber weit mehr getrunken, als ich je von ihm erwartet hätte. »Mißverstehen Sie mich nicht«, fuhr er fort. »Ich finde Arashinos Kimonos wunderschön. Sonst würde er jetzt nicht hier neben mir sitzen – oder? Doch wenn Sie mich fragen, ob ich mir lieber einen
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