Die Geisha - Memoirs of a Geisha
entgegnete Mutter, »darfst du Sayuri höflich fragen, ob sie so freundlich sein würde, hinauszugehen.«
»Sei bitte so freundlich und geh hinaus, Sayuri«, sagte Hatsumomo ironisch.
Und dann gab ich ihr zum erstenmal im Leben Widerworte, ohne zu fürchten, daß sie mich dafür bestrafen würde.
»Ich werde gehen, wenn Mutter das möchte«, erklärte ich.
»Mutter, würden Sie bitte so freundlich sein und unserem Fräulein Dummkopf hier befehlen, uns allein zu lassen?« fragte Hatsumomo.
»Sei nicht so lästig«, sagte Mutter. »Komm rein und sag mir, was du willst.«
Das gefiel Hatsumomo zwar gar nicht, aber sie kam trotzdem herein und setzte sich an den Tisch. Sie saß zwischen Mutter und mir, aber nahe genug, daß ich ihr Parfüm riechen konnte.
»Das arme Kürbisköpfchen ist völlig aufgelöst zu mir gekommen«, begann sie. »Ich habe ihr fest versprochen, mit Ihnen zu reden. Sie hat mir etwas sehr Sonderbares erzählt. ›O Hatsumomo‹, sagte sie. ›Mutter hat es sich anders überlegt!‹ Aber ich habe sie beruhigt, das könne nicht stimmen.«
»Ich weiß nicht, wovon sie gesprochen hat. Ich habe mir in jüngster Zeit überhaupt nichts anderes überlegt.«
»Genau das habe ich ihr erklärt: daß Sie ein einmal gegebenes Wort nicht brechen. Aber es wäre mir wirklich lieb, Mutter, wenn Sie ihr das selbst sagen könnten.«
»Was sagen?«
»Daß Sie sich die Sache mit ihrer Adoption nicht anders überlegt haben.«
»Wie kommst du denn auf so etwas? Ich hatte niemals auch nur die geringste Absicht, sie zu adoptieren.«
Es war für mich äußerst schmerzlich, das zu hören, denn ich dachte unwillkürlich daran, wie Kürbisköpfchen in so großer Erregung die Treppe hinabgehetzt war… Und das war kein Wunder, denn nun konnte niemand sagen, was aus ihr werden würde. Hatsumomo hatte das Lächeln aufgesetzt, mit dem sie aussah wie ein kostbares Stück Porzellan, doch Mutters Worte hatten sie schwer getroffen. Haßerfüllt sah sie mich an.
»Dann stimmt es also! Sie wollen sie adoptieren! Wissen Sie nicht mehr, daß Sie erst letzten Monat gesagt haben, Sie wollen Kürbisköpfchen adoptieren, Mutter? Sie haben mich sogar gebeten, ihr die gute Nachricht zu überbringen!«
»Was du Kürbisköpfchen erzählt hast, ist nicht meine Sache. Außerdem hast du Kürbisköpfchens Lehrzeit nicht so gut gehandhabt, wie ich es erwartet hätte. Eine Weile hat sie ihre Sache gut gemacht, aber in letzter Zeit…«
»Sie haben es versprochen, Mutter«, sagte Hatsumomo in einem Ton, der mich erschreckte.
»Mach dich nicht lächerlich! Du weißt genau, daß ich seit Jahren ein Auge auf Sayuri habe. Warum sollte ich mich jetzt anders entscheiden und Kürbisköpfchen adoptieren?«
Ich wußte genau, daß Mutter log. Aber nun ging sie sogar so weit, sich an mich zu wenden und mich zu fragen:
»Sayuri-san, wann habe ich zum erstenmal mit dir über die Adoption gesprochen? Vor ungefähr einem Jahr?«
Wenn Sie jemals gesehen haben, wie eine Katzenmutter ihren Jungen das Jagen beibringt – wie sie eine hilflose Maus nimmt und sie zerreißt –, nun ja, ich hatte das Gefühl, als böte Mutter mir die Chance zu lernen, wie ich genauso wie sie werden könnte. Ich brauchte jetzt nur zu lügen wie sie und zu sagen: »Aber ja, Mutter, Sie haben oft mit mir darüber gesprochen!« Das wäre der erste Schritt meiner Verwandlung in eine gelbäugige, alte Frau gewesen, die mit ihren Kontobüchern in einem düsteren Zimmer lebt. Ich konnte weder Mutters Partei ergreifen noch Hatsumomos. Also hielt ich den Blick auf die Matten gerichtet, damit ich keine von beiden ansehen mußte, und behauptete, ich könne mich nicht erinnern.
Hatsumomos Gesicht war rotfleckig vor Zorn. Sie stand auf und ging zur Tür, aber Mutter hielt sie noch einmal zurück.
»In einer Woche wird Sayuri meine Tochter«, sagte sie. »Bis dahin mußt du lernen, sie mit Respekt zu behandeln. Wenn du hinuntergehst, schickst du eine der Dienerinnen mit Tee für Sayuri und mich herauf.«
Hatsumomo vollführte eine angedeutete Verneigung, dann war sie verschwunden.
»Mutter«, sagte ich, »es tut mir sehr leid, Auslöser für so großen Ärger gewesen zu sein. Ich bin sicher, daß Hatsumomo sich hinsichtlich Ihrer Pläne für Kürbisköpfchen irrt, aber… Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Wäre es nicht möglich, uns beide zu adoptieren?«
»Oho, jetzt kennst du dich also auch schon im Geschäft aus, wie?« gab sie zurück. »Willst du mir vorschreiben, wie ich die
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