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Die Geisha - Memoirs of a Geisha

Titel: Die Geisha - Memoirs of a Geisha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Golden
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die Augen sehen konnte. Selbst das Dorf Senzuru war für mich ein ferner, entlegener Ort. Aber Kyoto kam mir so fremd vor wie Hongkong, ja sogar wie New York, von dem ich Dr. Miura hatte erzählen hören. Nach allem, was ich wußte, wurden Kinder in Kyoto zermahlen und an die Hunde verfüttert.
    Viele Stunden lang saßen wir im Zug, ohne etwas zu essen. Der Anblick von Herrn Bekku, der ein gewickeltes Lotusblatt aus seinem Beutel zog, es auseinanderschlug und einen mit Sesamsaat bestreuten Reiskloß freilegte, weckte meine ganze Aufmerksamkeit. Doch als er ihn sich mit seinen knochigen Fingern in den gemeinen kleinen Mund stopfte, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, hatte ich das Gefühl, keine einzige Sekunde dieser Tortur mehr ertragen zu können. Endlich stiegen wir in einer großen Stadt aus, die ich für Kyoto hielt, doch nach kurzer Zeit fuhr ein anderer Zug in den Bahnhof ein, der uns nach Kyoto brachte. Da er viel voller als der erste war, mußten wir stehen. Als wir gegen Abend ankamen, fühlte ich mich so zerschlagen wie ein Fels, auf den den ganzen Tag ein Wasserfall eingetrommelt hat.
    Als wir uns dem Bahnhof von Kyoto näherten, vermochte ich nur wenig von der Stadt zu sehen. Ich erhaschte einen Blick auf ein Dächermeer, das sich bis an die fernen Hügel erstreckte. Nie hätte ich mir vorstellen können, daß eine Stadt so groß sein könnte. Bis heute noch löst der Anblick von Straßen und Gebäuden vom Zugfenster aus nicht selten die Erinnerung an jene schreckliche Leere und Angst in mir aus, die ich an jenem seltsamen Tag empfand, als ich zum erstenmal mein Zuhause verließ.
    Damals, um 1930, fuhren noch eine Menge Rikschas in Kyoto. Und so viele davon waren vor dem Bahnhof aufgereiht, daß ich mir vorstellte, in dieser riesigen Großstadt müsse wohl jeder, der unterwegs war, mit einer Rikscha fahren – womit ich mich gründlich täuschte. Etwa fünfzehn bis zwanzig von ihnen ruhten vornübergeneigt auf ihren Ziehstangen, während die Kulis in der Nähe hockten und rauchten oder aßen; einige lagen sogar zusammengerollt mitten im Straßenschmutz und schliefen.
    Herr Bekku führte uns wieder bei den Ellbogen, als wären wir zwei Eimer, die er vom Brunnen geholt hatte. Vermutlich dachte er, ich würde weglaufen, sobald er mich losließ, aber das hätte ich nicht getan. Wohin er uns auch brachte, es war mir lieber, als mutterseelenallein in dieser endlosen Weite von Straßen und Häusern umherzuirren, die mir so fremd war wie der Meeresgrund.
    Wir stiegen in eine Rikscha, und Herr Bekku zwängte sich zwischen uns. Er war unter dem Kimono sogar noch knochiger, als ich vermutet hatte. Als der Kuli die Stangen hob, wurden wir zurückgeschleudert. Herr Bekku sagte: »Nach Tominaga-cho in Gion.«
    Der Kuli antwortete nicht und setzte sich in Trab. Nach ein bis zwei Häuserblocks nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte Herrn Bekku: »Würden Sie uns bitte sagen, wohin wir fahren?«
    Es sah nicht aus, als gedenke er mir zu antworten, aber nach einem kurzen Moment sagte er: »Zu eurem neuen Zuhause.«
    Da füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich hörte Satsu auf der anderen Seite von Herrn Bekku weinen und wollte gerade ebenfalls zu schluchzen beginnen, als Herr Bekku ihr plötzlich einen Schlag versetzte und sie laut hörbar aufkeuchte. Also biß ich mir auf die Lippen und zwang mich, so schnell mit dem Weinen aufzuhören, daß ich glaubte, selbst die Tränen, die bereits die Wangen herabrollten, seien versiegt.
    Bald bogen wir in eine Avenue ein, die so breit zu sein schien wie das ganze Dorf Yoroido. Zwischen all den Menschen, Fahrrädern, Autos und Lastwagen hindurch konnte ich kaum die andere Seite erkennen. Bis dahin hatte ich noch niemals ein Auto gesehen. Ich kannte Fotos, aber ich weiß noch genau, daß ich unendlich erstaunt darüber war, wie… nun ja, grausam ist wohl der richtige Ausdruck dafür, wie sie auf mich in meinem verängstigten Zustand wirkten: Als wären sie eher dazu bestimmt, den Menschen zu schaden, als ihnen zu helfen. Für mich war es ein Angriff auf sämtliche Sinne. Lastwagen rumpelten so dicht vorbei, daß ich den Geruch nach verbranntem Gummi wahrnahm, den ihre Reifen verströmten. Auch ein ganz gräßliches Kreischen hörte ich, das sich als die elektrische Straßenbahn in der Mitte der Avenue entpuppte.
    Je weiter sich der Abend rings um uns herabsenkte, desto größer wurde meine Angst, aber noch nie im Leben habe ich so gestaunt wie beim ersten Anblick

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