Die Geisha - Memoirs of a Geisha
der Großstadtlichter. Außer bei jenem Abendessen im Haus von Herrn Tanaka hatte ich noch nie elektrischen Strom gesehen. Überall glühten Fenster auf, und die Menschen auf dem Bürgersteig standen in gelblichen Lichtteichen. Selbst ganz weit hinten in der Avenue konnte ich noch Lichtpunkte erkennen. Wir bogen in eine andere Straße ein, und vor uns, am anderen Ende einer Brücke, sah ich zum erstenmal das Minami-za-Theater. Sein Ziegeldach war so groß und schön, daß ich es für einen Palast hielt.
Schließlich bog die Rikscha in eine Gasse ein, wo nur Holzhäuser standen. So eng, wie sie sich alle nebeneinanderduckten, schienen sie sich eine einzige Fassade zu teilen, und das löste wieder einmal dieses schreckliche Gefühl der Verlorenheit in mir aus. Ich sah Frauen im Kimono, die in höchster Eile auf der Gasse umherhuschten. Sie wirkten überaus elegant auf mich, obwohl sie, wie ich später erfuhr, fast alle nur Dienerinnen waren.
Als wir vor einem Eingang hielten, wies Herr Bekku mich an, auszusteigen. Er selbst stieg ebenfalls aus, und als hätte der Tag nicht schon genug Schlimmes gebracht, geschah nunmehr das Allerschlimmste. Denn als Satsu uns folgen wollte, wandte sich Herr Bekku um und stieß sie mit seinem langen Arm zurück.
»Bleib sitzen«, sagte er zu ihr. »Du kommst woandershin.«
Ich sah Satsu an, und Satsu sah mich an. Dies war womöglich das erstemal, daß jede von uns die Gefühle der anderen vollkommen verstand. Aber es dauerte nur einen Moment, denn sofort füllten sich meine Augen mit Tränen, so daß ich kaum etwas sehen konnte. Ich spürte, daß ich von Herrn Bekku rücklings mitgezogen wurde, dann hörte ich Frauenstimmen und einiges Durcheinander. Gerade wollte ich mich auf die Straße werfen, als Satsu auf einmal den Mund aufsperrte und etwas, was hinter mir im Eingang auftauchte, anstaunte.
Ich befand mich in einem schmalen Hauseingang mit einem uralt wirkenden Brunnen auf der einen und ein paar Grünpflanzen auf der anderen Seite. Herr Bekku hatte mich hineingezerrt und stellte mich nun auf die Füße. Und dort auf der Stufe stand eine ganz wunderschöne Frau in einem Kimono, kostbarer als alles, was ich mir je hätte vorstellen können, und schob ihre Füße in Lackzoris. Schon der Kimono, den die junge Geisha mit den vorstehenden Zähnen in Herrn Tanakas Dorf Senzuru getragen hatte, hatte mich tief beeindruckt, dieser aber war wasserblau mit elfenbeinweißen Wirbeln, die die Strömung in einem Fluß darstellten. Silbern blitzende Forellen tummelten sich in der Strömung, und dort, wo die zartgrünen Blätter eines Baumes das Wasser berührten, war es mit Goldringen betupft. Zweifellos bestand dieses Gewand ebenso aus reiner Seide, wie der Obi, der in hellen Grün- und Gelbtönen bestickt war. Doch ihre Kleidung war nicht das einzige an ihr, was mir auffiel: Ihr Gesicht war in einem Weißton geschminkt, der an eine sonnenbeschienene Wolke erinnerte. Ihre Haare, zu Schlaufen geformt, glänzten schwarz wie Lack und waren mit Seidenblumen und einer Spange geschmückt, an der winzige Silberstreifen hingen, die bei jeder Bewegung tanzten und schimmerten.
Dies war meine erste Begegnung mit Hatsumomo. Damals war sie eine der bekanntesten Geishas im Gion-Viertel, obwohl ich das zu jener Zeit nicht wußte. Sie war klein und zierlich; ihre aufgetürmte Frisur reichte Herrn Bekku gerade bis an die Schulter. Ich war so überwältigt von ihrer Erscheinung, daß ich meine guten Manieren vergaß– nicht, daß ich damals schon welche entwickelt hätte – und ihr direkt ins Gesicht starrte. Sie lächelte mir zu, aber keineswegs freundlich. Dann sagte sie:
»Herr Bekku, könnten Sie den Müll bitte später raustragen? Ich möchte vorbeigehen.«
Es stand kein Müll im Eingang – sie meinte mich. Herr Bekku antwortete, seiner Meinung nach habe Hatsumomo reichlich Platz zum Vorbeigehen.
»Möglich, daß es Ihnen nichts ausmacht, ihr so nahe zu sein«, gab Hatsumomo zurück. »Aber wenn ich auf einer Straßenseite Dreck sehe, gehe ich auf die andere hinüber.«
Plötzlich erschien an der Tür hinter ihr eine ältere Frau, so lang und knotig wie ein Bambusstab.
»Ich weiß nicht, wie dich überhaupt jemand ertragen kann, Hatsumomo-san«, sagte die Frau. Aber sie winkte Herrn Bekku, mich wieder auf die Straße hinauszubefördern. Er gehorchte. Dann trat sie in den Eingang hinunter – sehr unbeholfen, denn einer ihrer Hüftknochen stand heraus und erschwerte ihr das Gehen – und ging zu
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