Die Geisha - Memoirs of a Geisha
einem winzigen Schränkchen an der Mauer. Daraus nahm sie etwas, was ich für ein Stück Feuerstein hielt, sowie einen rechteckigen Stein, wie ihn die Fischer zum Messerschärfen benutzen. Damit stellte sie sich hinter Hatsumomo und schlug den Stein mit dem Feuerstein, so daß ein kleiner Funkenregen auf Hatsumomos Rücken herabging. Ich begriff das damals nicht, aber sehen Sie, Geishas sind sogar noch abergläubischer als Fischer. Keine Geisha wird am Abend ausgehen, ohne daß jemand über ihrem Rücken mit einem Feuerstein Funken geschlagen hat, denn das soll Glück bringen.
Dann ging Hatsumomo davon – mit so winzigen Schritten, daß sie dahinzugleiten schien, während der Saum ihres Kimonos sich nur ganz sanft bewegte. Damals wußte ich noch nicht, daß sie eine Geisha war, denn sie stand weltenweit über der Frau, die ich nur wenige Wochen zuvor in Senzuru gesehen hatte. Ich dachte mir, daß sie eine Art Bühnenstar sein müsse. Wir sahen ihr gemeinsam nach, dann übergab Herr Bekku mich der älteren Frau im Hauseingang. Er selbst stieg zu meiner Schwester in die Rikscha, und der Kuli hob die Stangen. Abfahren sah ich sie jedoch nicht mehr, denn ich war weinend im Eingang zusammengebrochen.
Die ältere Frau schien Mitleid mit mir zu haben, denn sie ließ mich lange dort liegen und mein Elend hinausschluchzen, ohne daß mich jemand berührte. Ich hörte sogar, wie sie eine Dienerin zum Schweigen brachte, die aus dem Haus kam, um mit ihr zu sprechen. Schließlich half sie mir aufstehen und trocknete mir das Gesicht mit einem Taschentuch, das sie aus dem Ärmel ihres schlichten grauen Kimonos zog.
»Still, still, kleines Mädchen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Niemand wir dich auffressen.« Sie sprach in demselben komischen Dialekt wie Herr Bekku und Hatsumomo. Er klang so anders als das Japanisch, das in meinem Dorf gesprochen wurde, daß ich Mühe hatte, sie zu verstehen. Auf jeden Fall aber waren das die freundlichsten Worte, die ich den ganzen Tag über zu hören bekommen hatte, daher entschloß ich mich, ihren Rat zu befolgen. Ich sollte sie Tantchen nennen, sagte sie. Dann blickte sie auf mich herab, sah mir direkt ins Gesicht und sagte mit heiserer Stimme:
»Himmel, was für seltsame Augen! Du bist wirklich ein bezauberndes Mädchen! Mutter wird sich freuen!«
Ich dachte sofort, die Mutter dieser Frau, wer immer sie war, müsse steinalt sein, denn Tantchens Haare, am Hinterkopf fest zusammengeknotet, waren fast grau mit höchstens ein paar schwarzen Strähnen dazwischen.
Tantchen führte mich durch die Tür, hinter der sich ein ungepflasterter Korridor befand, der zwischen zwei Gebäuden zu einem Innenhof führte. Das eine Gebäude glich unserem Haus in Yoroido – zwei Zimmer mit Holzboden – und war, wie sich herausstellte, das Dienstbotenquartier. Auf der anderen Seite des Korridors stand ein kleines, elegantes Haus, das auf Fundamentsteinen ruhte, die so viel Zwischenraum ließen, daß eine Katze hindurchkriechen konnte. Der Korridor zwischen Haupthaus und Dienstbotenquartier war oben zum dunklen Himmel hin offen, und das verlieh mir das Gefühl, eher in einem Miniaturdorf zu stehen als in einem Haus, vor allem, da ich hinten am Ende des Hofes noch ein paar kleine Gebäude sah. Damals wußte ich es noch nicht, doch dies war eine für diesen Teil von Kyoto typische Anlage. Die Gebäude am Innenhof sahen zwar aus wie eine Gruppe winziger Häuser, waren aber nichts weiter als ein kleiner Schuppen für die Toiletten und ein Lagerhaus mit zwei Stockwerken und einer Außenleiter. Das ganze Grundstück war nicht einmal so groß wie Herrn Tanakas Haus auf dem Land und wurde nur von acht Personen bewohnt. Oder nun, da ich hinzugekommen war, von neun.
Nachdem ich mir dieses seltsame Arrangement von winzigen Häuschen genau angesehen hatte, fiel mir die Eleganz des Haupthauses auf. In Yoroido waren Holzhäuser mehr grau als braun und von der salzigen Luft ziemlich verwittert. Hier aber glänzten die Holzböden und -balken im gelblichen Licht elektrischer Lampen. Vom Flur gingen papierbespannte Schiebetüren aus sowie eine Treppe, die steil nach oben führte. Da eine der Türen offenstand, konnte ich ein Holzschränkchen mit einem buddhistischen Altar erkennen. Diese eleganten Räume waren, wie sich herausstellte, für den Gebrauch der Familie bestimmt – und auch für Hatsumomo, obwohl sie, wie ich später erfahren sollte, gar kein Familienmitglied war. Wenn die Familienmitglieder zum Innenhof
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