Die Geisha - Memoirs of a Geisha
lange gewesen sein, denn an dem Abend, als ich das hörte, schwor ein Mann auf derselben Party, wenn Hatsumomo eine Prostituierte sei, werde er sie suchen und ihr ein bißchen was zu verdienen geben. Er zog los, um sie zu suchen, aber sie war nirgends zu finden. Im Laufe der Jahre hatte sie es vermutlich geschafft, sich zu Tode zu trinken. Da wäre sie nicht die erste Geisha gewesen.
Wir in der Okiya hatten uns an Hatsumomo gewöhnt, wie man sich an ein schlimmes Bein gewöhnen kann. Auch nachdem sie weg war, dauerte es noch eine ganze Weile, bis wir begriffen, wie sehr ihre Gegenwart uns beeinträchtigt hatte. Doch dann begannen Dinge, von denen wir nicht gewußt hatten, daß sie uns schmerzten, ganz allmählich zu heilen. Sogar wenn Hatsumomo nichts weiter tat, als in ihrem Zimmer zu schlafen, hatten die Dienerinnen gewußt, daß sie dort war und daß sie im Lauf des Tages herauskommen und sie beschimpfen würde. Sie alle lebten und litten unter jener Spannung, die man empfindet, wenn man über einen zugefrorenen Teich geht, dessen Eis jeden Moment brechen kann. Und was Kürbisköpfchen betrifft, so glaube ich, daß sie von ihrer älteren Schwester abhängig geworden war und sich ohne sie seltsam verloren vorkam.
Zum wertvollsten Aktivposten der Okiya war inzwischen ich geworden, obwohl selbst ich einige Zeit brauchte, um all die merkwürdigen Gewohnheiten abzulegen, die ich Hatsumomos wegen angenommen hatte. Lange Zeit noch fragte ich mich, wenn mich ein Mann seltsam ansah, ob er vielleicht von ihr etwas Nachteiliges über mich gehört hatte. Wenn ich die Treppe zum ersten Stock der Okiya hinaufstieg, senkte ich den Blick, da ich befürchtete, daß Hatsumomo oben an der Treppe auf jemand wartete, den sie beschimpfen könnte. Ich weiß nicht, wie oft mir auf der letzten Stufe dann aufging, daß es keine Hatsumomo mehr gab und auch nie mehr geben würde. Ich wußte, daß sie fort war, und dennoch schien gerade der leere Flur auf ihre Gegenwart hinzudeuten. Selbst jetzt, als ältere Frau, nehme ich zuweilen den Brokatvorhang vom Spiegel meines Schminktischs und werde flüchtig von dem Gedanken gestreift, daß sie mir dort im Spiegel auflauert, um mich höhnisch anzugrinsen.
28. KAPITEL
Auf japanisch nennen wir die Zeit von der Weltwirtschafts krise bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs kurotani – das dunkle Tal –, Jahre, in denen viele Menschen lebten wie Kinder, die mit dem Kopf unter Wasser geraten waren. Und wie so oft mußten wir in Gion auch damals nicht ganz so schwer leiden wie die anderen. Während die meisten Japaner zum Beispiel die ganzen dreißiger Jahre hindurch im dunklen Tal lebten, genossen wir in Gion immer noch ein bißchen Sonnenwärme. Warum, das muß ich Ihnen ja wohl nicht erklären: Frauen, die die Geliebten von Kabinettsministern und hohen Marineoffizieren sind, erfreuen sich enormer Vorteile und geben diese Vorteile an andere weiter. Man könnte sagen, Gion sei wie ein Bergsee, der von zahlreichen Quellflüssen gespeist wird. An einigen Stellen fließt ihm mehr Wasser zu als an anderen, gleichwohl steigt der Wasserspiegel im ganzen See.
Wegen General Tottori war unsere Okiya eine der Stellen, an denen das Quellwasser hereingeströmt kam. Um uns wurde die Lage im Lauf der Jahre immer schlechter, wir aber erhielten noch lange nach Beginn der Rationierung zahlreicher Waren regelmäßig Lieferungen von Lebensmitteln, Tee, Wäsche und sogar Luxusartikeln wie Kosmetika und Schokolade. Nun hätten wir all diese Dinge für uns behalten und uns von den anderen abschotten können, in Gion aber ist das unmöglich. Deswegen gab Mutter einen großen Teil unserer Vorräte weiter und betrachtete diese Gaben als gut angelegt – natürlich nicht, weil sie ein großzügiger Mensch war, sondern weil wir alle wie Spinnen waren, die dicht gedrängt im selben Netz zusammenhocken. Wenn von Zeit zu Zeit Leute kamen, die uns um Hilfe baten, waren wir ihnen, so weit wir konnten, gern behilflich. Einmal, im Herbst 1941, fand die Militärpolizei zum Beispiel eine Dienerin mit einer Schachtel, die etwa zehnmal so viele Lebensmittelmarken enthielt, als ihrer Okiya zustanden. Ihre Herrin sandte sie zu uns, damit wir sie so lange aufnahmen, bis alles Notwendige veranlaßt worden war, um sie aufs Land zu schicken, denn in Gion wurden diese Marken natürlich von jedermann gehamstert: je besser die Okiya, desto mehr hatte sie gewöhnlich davon gehortet. Zu uns wurde diese Dienerin geschickt, weil General Tottori die
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