Die Geisha - Memoirs of a Geisha
seine Augenfältchen tiefer waren, als ich sie in Erinnerung hatte. Und auch die Haut um seinen Mund herum wurde allmählich ein wenig schlaff, obwohl das seinem kraftvollen Kinn, wie mir schien, eine gewisse Würde verlieh. Als ich, während ich am Tisch kniete, verstohlen zu ihm aufblickte, sah ich, daß er mich noch immer ausdruckslos anstarrte. Gerade wollte ich ein Gespräch beginnen, als der Direktor als erster das Wort ergriff.
»Du bist eine bezaubernde Frau, Sayuri.«
»Aber Direktor«, gab ich zurück. »Ich werde nie wieder ein Wort von dem glauben, was Sie sagen. Eine halbe Stunde mußte ich heute an meinem Schminktisch verbringen, um meine hohlen Wangen zu kaschieren.«
»Ich bin sicher, daß du in den vergangenen Jahren Schlimmeres durchmachen mußtest als einen kleinen Gewichtsverlust. Bei mir jedenfalls war das so.«
»Wenn ich das bitte sagen darf, Direktor… Von Nobu-san habe ich ein wenig über die Probleme gehört, vor denen Ihre Firma steht…«
»Ach je, nun, darüber wollen wir jetzt lieber nicht reden. Manchmal, Sayuri, überstehen wir Notzeiten nur, indem wir uns vorstellen, wie schön die Welt wäre, wenn unsere Träume wahr werden könnten.«
Er schenkte mir ein trauriges Lächeln, welches ich so schön fand, daß ich den Blick nicht von dem vollkommenen Schwung seiner Lippen losreißen konnte.
»Jetzt hast du Gelegenheit, deinen Charme einzusetzen und das Thema zu wechseln«, sagte er.
Ich hatte mit meiner Antwort noch nicht mal begonnen, als die Tür aufgeschoben wurde und Mameha, mit Kürbisköpfchen auf den Fersen, zu uns hereinkam. Ich war überrascht, Kürbisköpfchen zu sehen, denn ich hatte nicht mit ihr gerechnet. Mameha wiederum war offenbar gerade erst aus Nagoya zurückgekehrt und sofort ins Ichiriki geeilt, weil sie fürchtete, zu spät zu kommen. Die erste Frage, die sie stellte – nachdem sie den Direktor begrüßt und sich bei ihm für etwas bedankt hatte, was er in der Woche zuvor für sie getan hatte –, lautete, warum Nobu und der Minister nicht da seien. Der Direktor erwiderte, auch er habe sich diese Frage gestellt.
»Was für ein seltsamer Tag das heute war«, sagte Mameha, fast zu sich selbst. »Mein Zug ist vor dem Bahnhof von Kyoto fast eine Stunde stehengeblieben, und wir konnten nicht aussteigen. Schließlich sind zwei junge Männer durchs Fenster gesprungen. Einer von ihnen hat sich dabei, glaube ich, verletzt. Und als ich das Ichiriki endlich erreicht hatte, schien keiner hier zu sein. Nur das arme Kürbisköpfchen ist ziellos durch die Gänge geirrt und wußte nicht recht, wohin. Sie kennen Kürbisköpfchen doch, nicht wahr, Direktor?«
Bis jetzt hatte ich Kürbisköpfchen noch gar nicht richtig wahrgenommen. Nun sah ich, daß sie einen ganz außergewöhnlichen aschgrauen Kimono trug, der unterhalb der Taille mit glitzernden Goldpunkten bestickt war, in denen ich Glühwürmchen erkannte, die vor einem Panorama von Bergen und Wasser im Mondschein umherschwirrten. Weder mein noch Mamehas Kimono konnten damit konkurrieren. Und der Direktor schien ihn genauso hinreißend zu finden wie ich, denn er bat sie, aufzustehen und ihm den Kimono vorzuführen. Sie erhob sich bescheiden und drehte sich einmal um sich selbst.
»Ich dachte, daß ich in einem Haus wie dem Ichiriki nicht in einem der Kimonos auftreten kann, die ich sonst trage«, erklärte sie. »Die meisten, die meine Okiya besitzt, sind nicht besonders kostbar, aber die Amerikaner scheinen den Unterschied nicht zu erkennen.«
»Wenn du nicht so freimütig gewesen wärst«, sagte Mameha, »hätten wir gedacht, daß du immer so gekleidet bist.«
»Machen Sie Witze? In meinem ganzen Leben hab’ ich noch nie einen so schönen Kimono getragen. Ich habe ihn mir von einer Okiya in meiner Straße ausgeliehen. Sie glauben ja nicht, wieviel die von mir dafür verlangen, aber da ich das Geld ohnehin nicht habe, macht es eigentlich keinen Unterschied, nicht wahr?«
Wie ich sah, war der Direktor amüsiert, obwohl eine Geisha in Gegenwart eines Mannes niemals von etwas so Unfeinem wie dem Preis eines Kimonos zu sprechen pflegt. Mameha wollte etwas zu ihm sagen, doch Kürbisköpfchen fiel ihr ins Wort.
»Ich dachte, heute sollte hier ein hohes Tier herkommen.«
»Du meinst vielleicht den Direktor«, antwortete Mameha. »Findest du nicht, daß er ein ›hohes Tier‹ ist?«
»Der weiß selber, ob er ein hohes Tier ist. Um ihm das zu sagen, braucht er mich nicht.«
Der Direktor sah Mameha mit
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