Die Geisha - Memoirs of a Geisha
»Ich werde dich nach Hause bringen. Oder tragen, falls es sein muß.«
Mameha bot ihre Hilfe an, und so führten sie Kürbisköpfchen zu zweit hinaus, während Nobu und der Minister mit mir am Tisch sitzen blieben.
»Nun, Minister«, fragte Nobu schließlich, »wie hat Ihnen der Abend gefallen?«
Ich glaube, der Minister war genauso betrunken wie Kürbisköpfchen, aber er murmelte, der Abend sei sehr erfreulich gewesen. »Wirklich sehr erfreulich«, wiederholte er und nickte dazu mehrere Male. Dann streckte er mir seine Saketasse hin, damit ich ihm einschenkte, doch Nobu nahm sie ihm aus der Hand.
32. KAPITEL
Den ganzen Winter und den folgenden Frühling über brachte Nobu den Minister einmal oder sogar zweimal die Woche zu uns nach Gion. In Anbetracht der vielen Zeit, die die beiden während dieser Monate miteinander verbrachten, hätte man meinen sollen, der Minister hätte endlich gemerkt, daß Nobus Gefühle ihm gegenüber in etwa denen glichen, die ein Eispickel einem Eisblock entgegenbringt, doch falls dem so war, ließ er sich nichts anmerken. Ehrlich gesagt, schien der Minister nie besonders viel zu merken, es sei denn, ob ich neben ihm kniete und ob seine Tasse voll Sake war. Seine Ergebenheit machte mein Leben zuweilen recht problematisch, denn wenn ich dem Minister zuviel Aufmerksamkeit schenkte, zeigte sich Nobu gereizt, und die weniger vernarbte Hälfte seines Gesichts wurde vor Zorn blutrot. Deswegen war es mir so wichtig, daß der Direktor, Mameha und Kürbisköpfchen dabei waren. Sie übernahmen die Rolle der Strohschichten in einer Packkiste.
Natürlich war mir die Anwesenheit des Direktors noch aus einem anderen Grund wichtig. Während dieser Monate begegnete ich ihm öfter, als ich ihn früher gesehen hatte, und mit der Zeit wurde mir klar, daß das Bild, das ich mir von ihm gemacht hatte und das mir vor Augen stand, wenn ich mich abends auf meinen Futon legte, nicht ganz realistisch war. Zum Beispiel hatte ich mir seine Augenlider stets glatt und fast ohne Wimpern vorgestellt, doch in Wirklichkeit waren sie mit einem dichten Kranz weicher Härchen besetzt, die wie kleine Pinsel wirkten. Und sein Mund war weit ausdrucksvoller, als ich gedacht hatte – ja, so ausdrucksvoll, daß er seine Gefühle manchmal nur sehr unzulänglich zu kaschieren vermochte. Wenn er über irgend etwas belustigt war, sich das aber nicht anmerken lassen wollte, konnte ich trotzdem ein leises Zucken seiner Mundwinkel wahrnehmen. Oder wenn er in Gedanken versunken war – vielleicht über ein Problem nachdachte, das sich ihm im Laufe des Tages gestellt hatte –, drehte er seine Saketasse immer wieder in den Händen, und wenn er sie an die Lippen führte, bildeten sich neben seinem Mund zwei tiefe Falten, die sich bis zum Kinn hinabzogen. Immer wenn er in diesem Zustand war, glaubte ich ihn unbemerkt beobachten zu können. Irgend etwas an dieser Miene, diesen tiefen Furchen in seinem Gesicht, fand ich unaussprechlich anziehend. Es schien zu zeigen, wie gründlich er über die Dinge nachdachte und wie ernst er von allen Menschen genommen wurde. Eines Abends, als Mameha eine lange Geschichte erzählte, starrte ich den Direktor ganz hingerissen an, und erst als ich wieder zu mir kam, ging mir auf, daß sich alle, die mich beobachtet hatten, über mich wundern mußten. Zum Glück war der Minister zu betrunken, um etwas zu merken, und Nobu kaute auf irgendeinem Bissen herum und stocherte mit seinen Stäbchen in den Speisen auf seinem Teller, ohne mir oder Mameha Beachtung zu schenken. Kürbisköpfchen dagegen schien mich die ganze Zeit aufmerksam beobachtet zu haben. Als ich sie ansah, zeigte sie mir ein Lächeln, das ich nicht so recht deuten konnte.
Eines Abends gegen Ende Februar bekam Kürbisköpfchen eine Grippe und konnte nicht zu uns ins Ichiriki kommen. Da sich der Direktor an jenem Abend verspätete, verbrachten Mameha und ich eine Stunde damit, Nobu und den Minister allein zu unterhalten. Schließlich beschlossen wir, einen Tanz vorzuführen, jedoch eher für uns selbst als für die Herren. Nobu war ohnehin kein begeisterter Anhänger des Tanzes, und der Minister zeigte überhaupt kein Interesse. Dies war für uns zwar nicht der schönste Zeitvertreib, aber uns wollte kein anderer einfallen.
Zunächst zeigte Mameha ein paar kurze Stücke, während ich sie auf dem Shamisen begleitete. Dann tauschten wir die Plätze. Als ich gerade die Ausgangsposition für meinen ersten Tanz einnahm – mit gebeugtem
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