Die Geisha - Memoirs of a Geisha
von ihrer Krankheit erfuhr. Ich konnte es kaum glauben. Hätte ich entdeckt, daß der Direktor Gefühle für, sagen wir, Mameha entwickelt hätte, so wäre ich nicht erstaunt gewesen. Aber Kürbisköpfchen? Wie konnte sich der Direktor nach einer Frau sehnen, der es… nun ja, so sehr an kultiviertem Benehmen mangelte?
Sie meinen vielleicht, daß jede Frau mit gesundem Menschenverstand an diesem Punkt die Hoffnung aufgegeben hätte. Und eine Zeitlang ging ich täglich zum Wahrsager und las meinen Almanach besonders sorgfältig, weil ich auf der Suche nach einem Zeichen war, ob ich mich in mein scheinbar unvermeidliches Schicksal fügen sollte. Natürlich lebten wir Japaner in einem Jahrzehnt zerstörter Hoffnungen. Da hätte es mich nicht überrascht, wenn die meinen genauso dahingewelkt wären wie die so vieler anderer Menschen. Andererseits glaubten viele daran, daß sich das Land eines Tages erholen werde, dies aber, wie wir alle wußten, keinesfalls geschehen würde, wenn wir uns endgültig damit abfanden, auf ewig in den Trümmern zu leben. Jedesmal, wenn ich in der Zeitung von irgendeiner kleinen Werkstatt las, die, sagen wir, vor dem Krieg Fahrradteile hergestellt hatte und nun wieder im Geschäft war, als hätte es den Krieg niemals gegeben, redete ich mir ein, wenn unsere ganze Nation aus ihrem tiefen, dunklen Tal herauskam, bestünde mit Sicherheit die Hoffnung, daß ich das meine ebenfalls überwinden werde.
Seit Anfang März hatten Mameha und ich den ganzen Frühling hindurch mit den Tänzen der Alten Hauptstadt zu tun, die zum erstenmal wieder aufgeführt werden sollten, seit Gion geschlossen worden war. Zufällig waren der Direktor und Nobu während dieser Monate ebenfalls sehr beschäftigt und brachten den Minister nur zweimal nach Gion. Dann hörte ich in der ersten Juniwoche plötzlich, daß meine Gesellschaft von Iwamura Electric früh am selben Abend im Ichiriki-Teehaus gewünscht werde. Da ich für diesen Abend schon vor Wochen ein Engagement gebucht hatte, kam ich, als ich endlich die Tür aufschob, um mich zu der Party zu gesellen, eine gute halbe Stunde zu spät. Zu meinem Erstaunen fand ich statt der gewohnten Gruppe nur Nobu und den Minister vor.
Ich sah sofort, daß Nobu zornig war. Natürlich dachte ich, er sei zornig auf mich, weil er meinetwegen soviel Zeit mit dem Minister hatte verbringen müssen – obwohl die beiden, ehrlich gesagt, kaum mehr »Zeit miteinander verbrachten« wie ein Eichhörnchen mit den Insekten, die im selben Baum hausen. Nobu, der mit den Fingern auf die Tischplatte trommelte, zog eine äußerst finstere Miene, während der Minister am Fenster stand und in den Garten hinausblickte.
»Na schön, Minister!« sagte Nobu, als ich mich am Tisch niedergelassen hatte. »Jetzt haben Sie lange genug zugesehen, wie die Büsche wachsen. Sollen wir hier etwa den ganzen Abend lang sitzen und auf Sie warten?«
Der Minister schrak zusammen und entschuldigte sich mit einer leichten Verneigung, bevor er herüberkam, um auf dem Kissen Platz zu nehmen, das ich für ihn bereitgelegt hatte. Normalerweise wollte mir kaum etwas einfallen, womit ich ein Gespräch mit ihm beginnen konnte, doch da ich ihn so lange nicht gesehen hatte, fiel mir diese Aufgabe heute leichter.
»Sie mögen mich anscheinend nicht mehr, Minister!« sagte ich.
»Eh?« fragte der Minister, dem es mit Mühe gelang, seine Züge so anzuordnen, daß dabei ein Ausdruck der Überraschung herauskam.
»Sie waren seit über einem Monat nicht mehr hier! War das, weil Nobu-san unfreundlich zu Ihnen war und Sie nicht so oft nach Gion mitgebracht hat, wie er es hätte tun sollen?«
»Nobu-san ist nicht unfreundlich zu mir«, widersprach der Minister. Dann blies er sich mehrmals in die Nase, bevor er ergänzte: »Ich habe schon viel zuviel von ihm verlangt.«
»Nachdem er Sie über einen Monat von hier ferngehalten hat? Das ist doch wohl sehr unfreundlich von ihm. Wir haben jetzt viel aufzuholen.«
»O ja«, fiel mir Nobu ins Wort. »Vor allem beim Trinken.«
»Du meine Güte, ist Nobu-san heute abend schlecht gelaunt! War er den ganzen Abend so? Und wo sind der Direktor, Mameha und Kürbisköpfchen? Werden sie heute abend denn nicht kommen?«
»Der Direktor hat heute abend keine Zeit«, antwortete Nobu. »Was mit den anderen ist, weiß ich nicht. Das ist dein Problem, nicht meins.«
Gleich darauf wurde die Tür aufgeschoben, und zwei Dienerinnen erschienen mit Tabletts voll Speisen für die Herren. Ich gab mir die
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