Die Geisha - Memoirs of a Geisha
verändert, Sayuri, oder war dies schon immer ein Teil deines Wesens, den ich nicht kannte?«
»Ich habe immer wieder gedacht, daß Nobu-san eine viel zu hohe Meinung von mir hat…«
»Ich irre mich nicht in der Beurteilung von Menschen. Wenn du nicht die Frau bist, für die ich dich halte, dann ist die Welt nicht so, wie ich dachte. Willst du behaupten, du könntest es auch nur in Betracht ziehen, dich einem Mann wie dem Minister hinzugeben? Hast du nicht das Gefühl, daß es Recht und Unrecht auf dieser Welt gibt, und Gut und Böse? Oder hast du zuviel Zeit in Gion verbracht?«
»Du meine Güte, Nobu-san… es ist Jahre her, daß ich Sie so wütend gesehen habe…«
Damit hatte ich offenbar genau das Falsche gesagt, denn sofort flammte Nobus Gesicht vor Zornesröte auf. Er packte sein Glas und knallte es so hart auf den Tisch, daß es zersprang und die Eiswürfel auf die Tischplatte kullerten. Als Nobu seine Hand umdrehte, sahen wir, daß quer über die Innenfläche ein Blutstreifen verlief.
»O Nobu-san!«
»Antworte!«
»Jetzt kann ich mich nicht einmal mehr an die Frage erinnern… Bitte, ich muß etwas für Ihre Hand holen…«
»Würdest du dich dem Minister hingeben, egal, wer dich darum bittet? Wenn du zu so etwas fähig wärst, wünsche ich, daß du sofort diesen Raum verläßt und nie wieder mit mir sprichst.«
Ich konnte nicht begreifen, warum der Abend eine so gefährliche Wendung genommen hatte, aber es war mir absolut klar, daß es nur eine Antwort gab. Ich wollte unbedingt sofort ein Tuch für Nobus Hand holen – sein Blut tropfte bereits auf den Tisch –, aber er sah mich so durchdringend an, daß ich mich nicht zu rühren wagte.
»So etwas würde ich niemals tun«, sagte ich.
Ich dachte, das würde ihn beruhigen, aber er starrte mich noch einen sehr langen, beängstigenden Augenblick finster an. Schließ-lich stieß er den Atem aus.
»Das nächstemal mach bitte den Mund auf, bevor ich mich verletzen muß, um eine Antwort von dir zu erhalten.«
Ich eilte hinaus, um die Herrin zu holen, die mit mehreren Dienerinnen, einer Schüssel Wasser und Handtüchern kam. Nobu ließ nicht zu, daß sie einen Arzt rief, und der Schnitt war auch nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Nachdem die Herrin wieder gegangen war, verhielt sich Nobu sonderbar still. Ich versuchte ein Gespräch zu beginnen, aber er zeigte kein Interesse.
»Zuerst kann ich Sie nicht beruhigen«, sagte ich schließlich, »und jetzt kann ich Sie nicht zum Sprechen bringen. Ich weiß nicht, ob ich Sie auffordern soll, mehr zu trinken, oder ob der Alkohol selbst das Problem ist.«
»Wir haben genug getrunken, Sayuri. Es wird jetzt Zeit, daß du mir den Stein zurückgibst.«
»Welchen Stein?«
»Den Stein, den ich dir im letzten Herbst gegeben habe. Den Betonbrocken von der Fabrik. Also lauf los und geh ihn holen!«
Als ich das hörte, wurde meine Haut zu Eis, denn ich wußte sehr genau, was er damit sagen wollte: daß für Nobu die Zeit gekommen sei, sich mir als danna anzubieten.
»Ehrlich, Nobu-san, ich habe soviel getrunken, daß ich nicht weiß, ob ich überhaupt noch gehen kann«, wandte ich ein. »Vielleicht erlaubt Nobu-san mir, ihn mitzubringen, wenn wir uns das nächstemal sehen, ja?«
»Du wirst ihn noch heute abend holen! Was glaubst du wohl, warum ich geblieben bin, nachdem der Minister gegangen ist? Du gehst ihn jetzt holen, während ich hier auf dich warte.«
Ich erwog, eine Dienerin nach dem Stein zu schicken, aber ich würde ihr nie richtig beschreiben können, wo er lag. Also begab ich mich unter Schwierigkeiten in den Hausflur hinunter, schob die Füße in meine Schuhe und schlurfte – so zumindest kam es mir in meiner Trunkenheit vor – durch die Straßen von Gion.
Als ich die Okiya erreichte, ging ich geradewegs in mein Zimmer hinauf und holte den Betonbrocken, der, in ein Stück Seidenstoff gewickelt, auf einem Regal in meinem Wandschrank lag. Ich wickelte ihn aus und ließ die Seide zu Boden fallen, obwohl ich nicht wußte, warum ich das tat. Als ich hinausging, begegnete ich im oberen Flur Tantchen – die wohl gehört hatte, daß ich stolperte, und herauskam, um nachzusehen, was los war –, und sie fragte mich, warum ich diesen Stein in der Hand trug.
»Den muß ich Nobu-san bringen, Tantchen«, antwortete ich. »Bitte hindern Sie mich daran!«
»Du bist betrunken, Sayuri! Was ist heute abend bloß in dich gefahren?«
»Ich muß ihn Nobu-san zurückgeben. Und wenn ich das tue, wird das
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