Die Geisha - Memoirs of a Geisha
dahin, ohne daß ich etwas hörte. Dann brachte Mutter mir eines heißen Nachmittags Ende Juni – fast einen Monat nachdem ich den Stein zurückgegeben hatte –, die Tageszeitung und schlug sie auf, um mir einen Artikel mit der Überschrift »Iwamura Electric sichert sich Finanzierung durch die Mitsubishi-Bank« zu zeigen. Ich erwartete natürlich, alle möglichen Hinweise auf Nobu, den Minister und vor allem auf den Direktor zu finden, doch der Artikel brachte nur eine Unmenge Informationen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Wie es hieß, war die Einstufung von Iwamura Electric durch die Besatzungsmacht der Alliierten von … ich weiß nicht mehr, irgendeiner Klasse in irgendeine andere Klasse erfolgt, und das hieß, wie der Artikel weiterhin erklärte, daß das Unternehmen von nun an ungehindert Verträge abschließen, Kredite aufnehmen und alles mögliche andere tun konnte. Dann folgten einige Abschnitte über Zinsfuß und Kreditlinien und schließlich über einen sehr hohen Kredit, der am Tag zuvor mit der Mitsubishi-Bank ausgehandelt worden sei. Der Artikel war sehr schwer zu lesen, weil er von Zahlen und Geschäftsausdrücken nur so strotzte. Als ich ihn gelesen hatte, blickte ich zu Mutter auf, die mir am Tisch gegenüberkniete.
»Das Schicksal von Iwamura Electric hat sich hundertprozentig gewendet«, sagte sie. »Warum hast du mich nicht davon unterrichtet?«
»Ich habe ja kaum etwas von dem verstanden, was ich eben gelesen habe, Mutter.«
»Kein Wunder, daß wir in den letzten Tagen so oft von Nobu Toshikazu gehört haben. Er hat sich nämlich als dein danna angeboten. Ich hatte erwogen, ihn abzulehnen, denn wer will schon einen Mann mit einer unsicheren Zukunft? Jetzt weiß ich auch, warum du in den letzten Wochen so zerstreut warst! Na schön, jetzt kannst du dich beruhigen. Es ist endlich soweit. Wir alle wissen doch, wie sehr dir Nobu all die Jahre am Herzen gelegen hat.«
Wie es sich für eine Tochter gehörte, fuhr ich fort, auf die Tischplatte zu starren. Doch der Schmerz stand mir anscheinend ins Gesicht geschrieben, denn gleich darauf fuhr Mutter fort:
»Du darfst nicht so teilnahmslos sein, wenn Nobu dich in seinem Bett haben will. Vielleicht ist mit deiner Gesundheit etwas nicht in Ordnung. Sowie du aus Amami zurück bist, werde ich einen Arzt kommen lassen.«
Das einzige Amami, von dem ich jemals gehört hatte, war ein Inselchen unweit von Okinawa; ich konnte mir nicht vorstellen, daß dies der Ort sein sollte, von dem sie sprach. Doch dann berichtete mir Mutter, die Herrin des Ichiriki habe an diesem Morgen einen Anruf der Iwamura Electric erhalten, bei dem es um einen Ausflug auf die Insel Amami am folgenden Wochenende ging. Ich war dazu eingeladen worden, dazu Mameha, Kürbisköpfchen und eine andere Geisha, an deren Namen sich Mutter nicht erinnern konnte. Wir sollten am kommenden Freitagnachmittag abreisen.
»Aber Mutter… das ergibt doch alles keinen Sinn«, protestierte ich. »Ein Wochenendausflug bis nach Amami? Allein die Bootsfahrt dauert ja schon den ganzen Tag!«
»Keine Bange! Iwamura Electric hat dafür gesorgt, daß ihr alle mit dem Flugzeug dorthin gebracht werdet.«
Sofort vergaß ich meine Ängste wegen Nobu und fuhr hoch, als hätte mich jemand mit einer Nadel gestochen. »Aber Mutter!« rief ich aus. »Ich kann unmöglich mit einem Flugzeug reisen!«
»Wenn du da drinsitzt und das Ding abhebt, wirst du gar nicht anders können!« gab sie zurück. Sie muß ihren kleinen Scherz wohl sehr komisch gefunden haben, denn sie stieß wieder einmal ihr heiser keuchendes Lachen aus.
Da das Benzin so knapp war, konnten sie uns unmöglich ein Flugzeug besorgen, sagte ich mir und beschloß, mir keine Gedanken mehr zu machen. Am folgenden Tag sprach ich jedoch mit der Herrin des Ichiriki. Wie es schien, flogen einige amerikanische Offiziere auf der Insel Okinawa an ein paar Wochenenden im Monat nach Osaka. Normalerweise kehrte die Maschine dann leer nach Hause zurück und holte sie einige Tage später wieder ab. Deswegen hatte es Iwamura Electric so einrichten können, daß unsere Gruppe auf dem Rückflug mitgenommen wurde. Nach Amami flogen wir nur, weil der Flug verfügbar war; sonst hätten wir vermutlich ein Heilbad mit heißen Quellen gewählt und nicht um unser Leben fürchten müssen. Das letzte, was mir die Herrin sagte, war: »Ich bin nur froh, daß Sie es sind, die mit dem Ding fliegen muß, und nicht ich.«
Als der Freitagmorgen gekommen war, fuhren wir mit
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