Die Geisha - Memoirs of a Geisha
dem Zug nach Osaka. Außer Herrn Bekku, der mitkam, um sich bis zum Flughafen um unser Gepäck zu kümmern, bestand unsere kleine Gruppe aus Mameha, Kürbisköpfchen und mir sowie einer älteren Geisha namens Shizue. Shizue kam nicht aus Gion, sondern aus dem Pontocho-Viertel. Sie trug eine wenig attraktive Brille und hatte silbergraue Haare, die sie noch älter wirken ließen, als sie war. Noch schlimmer war, daß ihr Kinn von einem tiefen Grübchen geteilt war, so daß es aussah wie zwei Brüste. Shizue schien uns andere zu betrachten wie eine Zeder das Unkraut, das zu ihren Füßen wächst. Sie sah fast immer nur zum Zugfenster hinaus, doch hin und wieder öffnete sie den Verschluß einer orangeroten Handtasche, nahm ein Stück Schokolade heraus und musterte uns, als wäre es nicht einzusehen, warum wir sie mit unserer Gegenwart belästigen mußten.
Zum Flughafen fuhren wir vom Bahnhof Osaka aus mit einem kleinen Bus, der kaum größer war als ein Automobil, mit Kohle betrieben wurde und furchtbar schmutzig war. Nach einer Stunde stiegen wir endlich vor einem silbrigen Flugzeug mit zwei riesigen Propellern an den Flügeln aus. Das winzige Rad, auf dem das Heck ruhte, trug nicht gerade dazu bei, mich zu beruhigen, und als wir einstiegen, verlief der Mittelgang so schräg nach unten, daß ich dachte, das Flugzeug müsse zerbrochen sein.
Die Herren waren bereits an Bord. Sie saßen auf den rückwärtigen Plätzen und besprachen geschäftliche Dinge. Außer dem Direktor und Nobu war der Minister anwesend sowie ein älterer Herr, der, wie ich später erfuhr, Regionaldirektor der Mitsubishi-Bank war. Neben ihm saß ein Mann in den Dreißigern, der Shizues Kinn und eine ebenso dicke Brille hatte. Wie sich herausstellte, war Shizue die langjährige Geliebte des Bankdirektors, und der jüngere Mann war ihr Sohn.
Wir hatten unsere Plätze im vorderen Teil der Maschine und überließen die Herren ihren langweiligen Gesprächen. Bald hörte ich ein hustendes Geräusch, und die Maschine begann zu zittern… und als ich zum Fenster hinausblickte, sah ich, daß sich der riesige Propeller draußen zu drehen begann. Innerhalb weniger Sekunden wirbelten seine schwerterscharfen Blätter nur wenige Zollbreit von meinem Gesicht entfernt und machten dabei ein hektisch wirkendes, summendes Geräusch. Ich war sicher, daß sie die Seitenwand der Maschine aufschlitzen und mich mitten durchschneiden würden. Mameha hatte mir den Platz am Fenster überlassen, weil sie dachte, der Ausblick würde mich beruhigen, sobald wir in der Luft waren; doch als sie sah, was der Propeller da machte, weigerte sie sich, den Platz mit mir zu tauschen. Der Lärm der Motoren wurde immer schlimmer, und dann begann das Flugzeug vorwärtszuholpern, während es sich hierhin und dorthin drehte. Schließlich erreichte der Lärm einen furchtbaren Höhepunkt, und der Mittelgang verlief plötzlich horizontal. Kurz darauf rumste es, und wir hoben ab. Erst als der Boden tief unter uns lag, erklärte mir irgend jemand, der Flug sei siebenhundert Kilometer weit und würde nahezu vier Stunden dauern. Als ich das hörte, füllten sich meine Augen mit Tränen, und alle anderen lachten mich aus.
Ich zog den Vorhang vor das Fenster und versuchte mich zu beruhigen, indem ich eine Zeitschrift las. Als ich eine ganze Weile später aufblickte – Mameha war auf dem Platz neben mir längst eingeschlafen –, stand Nobu neben mir im Mittelgang.
»Ist alles in Ordnung, Sayuri?« fragte er leise, um Mameha nicht zu wecken.
»Ich glaube nicht, daß Nobu-san mir je zuvor eine solche Frage gestellt hat«, antwortete ich. »Er scheint wohl bester Stimmung zu sein.«
»Noch nie war die Zukunft so vielversprechend.«
Da sich Mameha bei unserem Geflüster unruhig bewegte, sagte Nobu nichts weiter, sondern ging durch den Mittelgang zur Toilette. Unmittelbar bevor er die Tür öffnete, blickte er zurück zu den anderen Herren. Sekundenlang sah ich ihn aus einem Blickwinkel, der mir nicht vertraut war und der ihn finster-konzentriert wirken ließ. Als sein Blick dann in meine Richtung wanderte, dachte ich, er würde mir vielleicht ansehen, daß ich mir über meine Zukunft genauso große Sorgen machte, wie er sich auf die seine zu freuen schien. Wenn ich darüber nachdachte, erschien es mir seltsam, daß Nobu mich so wenig verstand. Gewiß, eine Geisha, die von ihrem danna Verständnis erwartet, gleicht einer Maus, die von einer Schlange Mitgefühl verlangt. Und außerdem – wie sollte
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