Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Sie alles nur noch schlimmer. Je kränker der Patient ist, desto mehr Medizin muß er schlucken.«
»Ich will aber nicht! Ich hasse es, allein zu trinken.«
»Na schön, dann leiste ich Ihnen Gesellschaft«, lenkte ich ein. Ich gab ein paar Eiswürfel in ein Glas und reichte es Nobu, um es zu füllen. Als er mir das Glas abnahm, lächelte er ein wenig – das erste Lächeln, das ich an jenem Abend von ihm sah – und schenkte mir bedächtig doppelt soviel Scotch ein, wie ich ihm eingeschenkt hatte, aufgefüllt mit einem Spritzer Wasser. Ich nahm ihm sein Glas weg, leerte es in eine Schale in der Mitte des Tisches und füllte es dann mit der gleichen Menge, die er mir eingeschenkt hatte, plus einem kleinen Extraspritzer zur Strafe.
Als wir unsere Gläser leerten, verzog ich unwillkürlich das Gesicht, denn für mich schmeckt Scotch ungefähr so wie Regenwasser aus dem Straßengraben. Offenbar erfüllte diese Grimasse ihren Zweck, denn anschließend blickte Nobu weit freundlicher drein. Als ich wieder zu Atem kam, sagte ich keuchend: »Ich weiß nicht, was heute abend in Sie gefahren ist. Und in den Minister.«
»Sprich bitte nicht von diesem Kerl! Ich hatte ihn gerade vergessen, und du mußt mich wieder an ihn erinnern. Weißt du, was er vorhin zu mir gesagt hat?«
»Nobu-san«, erwiderte ich, »es ist meine Pflicht, Sie aufzuheitern, ob Sie nun noch mehr Scotch wollen oder nicht. Sie haben Abend für Abend zugesehen, wie sich der Minister betrunken hat. Jetzt wird es Zeit, daß Sie sich selbst mal betrinken.«
Nobu schenkte mir einen weiteren finsteren Blick, griff aber nach seinem Glas wie ein Mann, der den weiten Weg zum Hinrichtungsplatz antritt, und betrachtete es lange, bevor er es bis zum letzten Tropfen leerte. Er stellte es auf den Tisch, um sich anschließend mit dem Handrücken die Augen zu reiben, als müßte er einen Schleier wegwischen.
»Sayuri«, sagte er, »ich muß dir etwas sagen. Früher oder später wirst du es ja doch erfahren. In der vergangenen Woche haben der Minister und ich mit der Herrin des Ichiriki gesprochen, weil wir uns erkundigen wollten, ob es möglich wäre, daß der Minister dein danna wird.«
»Der Minister?« fragte ich ungläubig. »Das verstehe ich nicht, Nobu-san. Ist das vielleicht Ihr Wunsch?«
»Keineswegs. Aber der Minister hat uns unendlich viel geholfen, und mir blieb einfach keine Wahl. Die Besatzungsmacht war drauf und dran, endgültig ihr Urteil gegen Iwamura Electric zu sprechen, weißt du. Dann wäre die Firma beschlagnahmt worden. Vermutlich hätten der Direktor und ich dann lernen müssen, Beton zu gießen oder etwas Ähnliches, denn man hätte uns nie wieder erlaubt, Geschäfte zu machen. Der Minister hat sie jedoch dazu überredet, unseren Fall neu aufzurollen, und sie davon überzeugt, daß man uns viel zu hart beurteilt hat. Was ja auch zutrifft, wie du weißt.«
»Und dennoch hat Nobu-san alle erdenklichen Schimpfwörter für den Minister«, warf ich ein. »Mir scheint…«
»Er verdient jedes einzelne Schimpfwort, das ich mir nur denken kann! Ich kann den Kerl nicht leiden, Sayuri. Und es hilft auch nicht viel, daß ich weiß, wie tief wir in seiner Schuld stehen.«
»Ach so«, sagte ich. »Also sollte ich dem Minister überlassen werden, weil…«
»Niemand hat versucht, dich dem Minister zu überlassen. Außerdem hätte er es sich niemals leisten können, dein danna zu werden. Ich habe ihm eingeredet, daß Iwamura Electric ihm die Sache bezahlen wolle, doch dazu wären wir natürlich niemals bereit gewesen. Ich kannte die Antwort schon vorher, sonst hätte ich die Frage niemals gestellt. Der Minister war furchtbar enttäuscht, weißt du. Einen Moment hat er mir fast leid getan.«
Was Nobu gesagt hatte, war wirklich nicht komisch, und dennoch mußte ich unwillkürlich lachen, weil ich mir plötzlich den Minister als meinen danna vorstellte, wie er sich mir mit seinem vorspringenden Kinn immer mehr zuneigte, bis er seinen Atem auf einmal mir in die Nase blies.
»Aha, du findest das also komisch, wie?« fragte mich Nobu.
»Nein, wirklich, Nobu-san… Es tut mir leid, aber wenn ich mir vorstelle, der Minister…«
»Ich wünsche nicht, daß du dir den Minister vorstellst! Es ist schlimm genug, daß ich hier neben ihm sitzen und mit der Herrin des Ichiriki reden mußte.«
Ich mixte einen weiteren Scotch mit Wasser für Nobu, während er einen für mich machte. Das war das letzte, was ich wollte, denn schon jetzt schien mir der Raum im Nebel zu
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