Die Geisha - Memoirs of a Geisha
einem Korb vorstellt – ich glaube, das trifft es ziemlich genau.
Das Gruppenbaden war also, wie gesagt, eine recht unschuldige Angelegenheit. Doch das bedeutet nicht, daß sich nie eine Hand dorthin verirrte, wo sie nichts zu suchen hatte, und diese Vorstellung beschäftigte mich sehr, als ich mich im heißen Quellwasser entspannte. Wäre Nobu ein Mensch gewesen, der andere gern neckte, hätte er sich zu mir herübertreiben lassen und hätte mich, wenn wir eine Zeitlang geplaudert hatten, plötzlich um die Hüfte gepackt, oder… nun ja, ehrlich gesagt, wo er nur wollte. Daraufhin hätte ich dann kreischen müssen, Nobu hätte gelacht, und damit wäre Schluß gewesen. Aber Nobu war kein Mensch, der andere gern neckte. Er hatte schon eine Weile im Bad gelegen und sich mit dem Direktor unterhalten, saß nun aber auf einem Stein und ließ nur die Beine ins Wasser hängen. Um die Hüften hatte er sich ein kleines, nasses Handtuch drapiert und schenkte keinem von uns Beachtung. Zerstreut rieb er seinen Armstumpf und starrte ins braune Wasser. Inzwischen war die Sonne untergegangen, und das Tageslicht war fast dem Abend gewichen, doch Nobu saß im Schein einer Papierlaterne. Noch nie hatte ich ihn so schutzlos gesehen. Die Brandnarben, von denen ich angenommen hatte, sie seien im Gesicht am schlimmsten, waren auf seiner Schulter nicht weniger schlimm, obwohl die andere Schulter so wunderschön glatt war wie eine Eierschale. Und sich jetzt vorzustellen, daß ich auch nur erwog, ihn zu verraten… Er würde glauben, daß ich es nur aus einem einzigen Grund getan hätte, und die Wahrheit niemals begreifen. Ich konnte den Gedanken, Nobu weh zu tun oder seine Zuneigung zu mir zu zerstören, nicht ertragen. Ich war ganz und gar nicht sicher, ob ich meinen Plan in die Tat umsetzen konnte!
Am folgenden Morgen machten wir alle nach dem Frühstück einen Spaziergang durch den Tropenwald zu den nahen Meeresklippen, wo sich der Bach, der von unserem Gasthaus kam, über einen malerischen kleinen Wasserfall ins Meer ergoß. Lange blieben wir dort stehen und bewunderten das Panorama, und selbst als wir anderen alle bereit waren, weiterzugehen, konnte sich der Direktor kaum von dem Anblick losreißen. Auf dem Rückweg ging ich neben Nobu, der noch immer fröhlicher war, als ich ihn je erlebt hatte. Als wir die Insel später auf einem mit Bänken ausgestatteten Militärlastwagen umrundeten, entdeckten wir Bananen und Ananas, die auf den Bäumen wuchsen, und viele wunderschöne Vögel. Von den Berggipfeln sah das Meer wie eine zerknitterte türkisblaue Decke mit dunkelblauen Flecken aus.
Als wir am Nachmittag durch die ungepflasterten Straßen des kleinen Dorfes wanderten, stießen wir schon bald auf ein altes Holzgebäude mit schrägem Reetdach, das wie ein Lagerhaus wirkte. Schließlich gingen wir um das Haus herum, wo Nobu ein paar Steinstufen emporstieg und eine Tür an der Ecke des Gebäudes öffnete, durch die das Sonnenlicht auf eine verstaubte, aus Brettern genagelte Bühne fiel. Das Bauwerk war offensichtlich einmal ein Speicher gewesen, diente dem Ort aber jetzt als Theater. Als ich das Haus betrat, dachte ich nicht weiter darüber nach. Nachdem jedoch die Tür hinter uns zugefallen war und wir wieder auf die Straße hinausgingen, fühlte ich mich abermals, als hätte ich eine Krankheit überwunden, denn in Gedanken hatte ich mir vorgestellt, wie ich mit dem Minister auf dem verrotteten Holzboden lag, während die Tür aufging und Sonnenlicht auf uns fiel. Wir würden keine Möglichkeit haben, uns zu verstecken, Nobu konnte uns unmöglich übersehen. In vieler Hinsicht war es genau der Ort, den ich mehr oder weniger zu finden gehofft hatte. Daran dachte ich zu jenem Zeitpunkt allerdings nicht, eigentlich dachte ich überhaupt nicht, sondern war vielmehr bemüht, meine Gedanken irgendwie zu ordnen, weil sie mir vorkamen wie Reis, der aus einem Loch im Sack rinnt.
Während wir den Hügel zu unserem Gasthaus hinaufstiegen, mußte ich ein wenig zurückbleiben, um das Taschentuch aus meinem Ärmel zu ziehen. Es war wirklich sehr heiß dort auf der Straße, wo uns die Nachmittagssonne direkt ins Gesicht schien. Ich war nicht die einzige, die schwitzte. Aber Nobu kam zu mir zurück und erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei. Als ich ihm nicht sofort antwortete, hoffte ich, er werde das dem anstrengenden Aufstieg zuschreiben.
»Du siehst schon das ganze Wochenende nicht gut aus, Sayuri. Vielleicht hättest du in Kyoto bleiben
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