Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Nobu mich verstehen, wo er mich doch ausschließlich als Geisha gesehen hatte, die ihr wirkliches Ich sorgfältig kaschierte? Der Direktor war der einzige Mann, dem ich als Geisha Sayuri Gesellschaft geleistet hatte und der mich schon als Chiyo kannte – obwohl es ein seltsames Gefühl war, die Sache so zu sehen, denn von diesem Gesichtspunkt aus hatte ich sie noch nie betrachtet. Was hätte Nobu wohl getan, wenn er mich an jenem Tag beim Shirakawa-Bach gefunden hätte? Er wäre bestimmt an mir vorbeigegangen… und um wieviel einfacher wäre wohl alles für mich geworden, wenn er das getan hätte! Ich müßte mich nicht ganze Nächte lang nach dem Direktor sehnen. Ich würde nicht von Zeit zu Zeit in Parfümerien vorbeischauen, um den Talkumduft zu riechen und mich an seine Haut zu erinnern. Ich würde mir nicht immer wieder vorstellen, an einem imaginären Ort mit ihm zusammenzusein. Wenn Sie mich gefragt hätten, warum ich das alles wollte, so hätte ich Ihnen vermutlich geantwortet: Warum schmeckt eine reife Dattelpflaume so köstlich? Warum riecht das Holz nach Rauch, wenn es brennt?
Aber da tat ich es schon wieder – wie ein Mädchen, das mit der Hand Mäuse zu fangen versucht. Warum konnte ich nicht aufhören, an den Direktor zu denken?
Bestimmt hatte sich mein Kummer noch deutlich auf meinem Gesicht abgezeichnet, als sich kurz darauf die Toilettentür öffnete und das Licht ausging. Da ich es nicht ertragen konnte, daß Nobu mich so sah, lehnte ich den Kopf ans Fenster und tat, als wäre ich eingeschlafen. Nachdem er vorbeigegangen war, schlug ich die Augen wieder auf. Wie ich feststellte, hatte ich mit dem Kopf den Vorhang ein wenig geöffnet, so daß ich seit jenem kurzen Blick nach dem Start zum erstenmal hinaussehen konnte. Tief unten breitete sich das aquamarinblaue, jadegrün marmorierte Meer aus. Das Grün erinnerte mich an einen Haarschmuck, den Mameha zuweilen trug. Nie hätte ich gedacht, daß das Meer grüne Flecken haben könnte. Von den Meeresklippen in Yoroido aus hatte es immer nur schiefergrau ausgesehen. Hier erstreckte sich das Meer weit, weit bis an einen schmalen Strich, der sich dort, wo der Himmel begann, wie ein Wollfaden quer übers Wasser zog. Dieser Anblick war überhaupt nicht erschreckend, sondern unaussprechlich schön. Selbst der Propeller besaß eine ganz eigene Schönheit, und der Silberflügel mit den Symbolen der amerikanischen Kampfflugzeuge wirkte auch irgendwie grandios. Wie merkwürdig, diese Symbole dort zu sehen, wenn man an die Welt vor nur fünf Jahren dachte! Wir hatten einen brutalen Krieg gegeneinander geführt – und nun? Wir hatten unsere Vergangenheit aufgegeben, das war etwas, was ich gut verstand, denn das hatte ich selbst auch einmal getan. Wenn ich nur eine Möglichkeit wüßte, wie man die Zukunft aufgeben kann…
Auf einmal stand mir ein erschreckendes Bild vor Augen: Ich sah, wie ich das Schicksalsband durchschnitt, das mich an Nobu fesselte, und wie er tief, tief ins Meer hinabstürzte.
Ich meine nicht etwa, daß dies nur eine Idee oder eine Art Tagtraum war. Ich meine, daß ich urplötzlich begriff, wie ich es verwirklichen könnte. Natürlich wollte ich Nobu nicht tatsächlich ins Meer stürzen, aber so plötzlich, als wäre in meinem Kopf ein Fenster aufgestoßen worden, wußte ich, was ich tun mußte, um meine Verbindung mit ihm für immer zu zerstören. Ich wollte Nobus Freundschaft nicht verlieren, aber er war mir bei meinen Bemühungen, den Direktor für mich zu gewinnen, ein Hindernis, das zu umgehen ich keine Möglichkeit gesehen hatte. Und doch konnte ich dafür sorgen, daß er von den Flammen seines eigenen Zorns verzehrt wurde. Nobu selbst hatte mir vor ein paar Wochen verraten, was ich tun mußte – nachdem er sich in jener Nacht im Ichiriki-Teehaus in die Hand geschnitten hatte. Wenn ich zu jener Sorte Frauen gehöre, die sich dem Minister hingaben, hatte er gesagt, wünsche er, daß ich sofort den Raum verlasse und nie wieder mit ihm spreche.
Das Gefühl, das mich angesichts dieser Möglichkeit überkam… es war, als hätte ich plötzlich eine Krankheit überwunden. Ich war am ganzen Körper verschwitzt. Ich war dankbar, daß Mameha neben mir schlief. Bestimmt hätte sie sich gefragt, was mit mir los sei, weil ich so außer Atem war und mir mit den Fingerspitzen den Schweiß von der Stirn wischte. Doch dieser Einfall – würde ich ihn wirklich in die Tat umsetzen können? Damit meine ich nicht die Verführung des Ministers; daß
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