Die Geisha - Memoirs of a Geisha
mir die leichtfallen würde, wußte ich. Es würde etwa so sein, als ginge ich zum Arzt, um mir eine Spritze geben zu lassen. Ich würde einfach den Kopf abwenden, und dann wäre es vorbei. Aber konnte ich Nobu das antun? Welch eine schreckliche Art, ihm seine Freundlichkeit zu danken! Verglichen mit den Männern, die die Geishas im Lauf der Jahre erduldet hatten, war Nobu vermutlich ein äußerst begehrenswerter danna. Aber würde ich es ertragen können, weiterzuleben, wenn all meine Hoffnungen endgültig zunichte gemacht worden waren? Wochenlang hatte ich mich bemüht, mir einzureden, daß ich es könnte, aber konnte ich es wirklich? Vielleicht, dachte ich, ist es mir jetzt möglich, zu begreifen, wie Hatsumomo zu ihrer bitteren Grausamkeit und Großmama zu ihrer Gemeinheit gekommen waren. Sogar Kürbisköpfchen, die doch kaum dreißig war, zeigte seit vielen Jahren eine enttäuschte Miene. Das einzige, was mich bis jetzt davor bewahrt hatte, war die Hoffnung; doch konnte ich jetzt, um mir meine Hoffnungen zu bewahren, wirklich eine so abstoßende Tat vollbringen? Ich spreche nicht von der Verführung des Ministers, ich spreche davon, daß ich Nobus Vertrauen mißbrauchen würde.
Den restlichen Flug verbrachte ich damit, mich mit diesen Gedanken herumzuschlagen. Nie hätte ich mir vorstellen können, daß ich eines Tages Ränke schmieden würde, doch mit der Zeit plante ich jeden einzelnen Schritt so genau wie bei einem Brettspiel: Ich würde den Minister im Gasthaus beiseite nehmen – oder nein, nicht im Gasthaus, sondern anderswo – und es so einrichten, daß Nobu uns ertappte… Oder würde es genügen, wenn er durch andere davon erfuhr? Sie können sich sicher vorstellen, wie ausgelaugt ich am Ende des Fluges war! Selbst nachdem wir die Maschine verlassen hatten, muß ich noch ziemlich verstört gewirkt haben, denn Mameha versicherte mir immer wieder, der Flug sei vorüber und ich endlich in Sicherheit.
Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang trafen wir in unserem Gasthaus ein. Die anderen bewunderten den Raum, in dem wir untergebracht werden sollten, ich aber war so aufgeregt, daß ich nur noch so tun konnte, als bewunderte ich ihn. Er war so geräumig wie das größte Zimmer im Ichiriki-Teehaus und wunderschön im japanischen Stil mit Tatami-Matten und blankpoliertem Holz eingerichtet. Eine lange Wand bestand ganz aus Glastüren. Dahinter wuchsen außergewöhnliche Tropenpflanzen, einige davon mit Blättern, so groß wie ein Mann. Ein überdachter Steg führte zwischen diesen Pflanzen hindurch zum Ufer eines Baches.
Als das Gepäck in Ordnung gebracht worden war, hatten wir alle Lust auf ein Bad. Das Gasthaus hatte uns Wandschirme zur Verfügung gestellt, die wir im Raum anordneten, um ein wenig Intimsphäre zu schaffen. Wir schlüpften in unsere Baumwollgewänder und gingen über eine Folge überdachter Stege, die durch den dichten Dschungel führten, zu einem luxuriösen heißen Quellbecken am anderen Ende des Gasthaus-Komplexes. Die Eingänge für Männer und Frauen waren durch Trennwände abgeschirmt und boten separate Fliesenräume zum Waschen. Aber sobald wir in das dunkle Quellwasser tauchten und über den Bereich des Raumteilers hinauskamen, waren Männer und Frauen gemeinsam im Wasser. Der Bankdirektor machte sich ständig über Mameha und mich lustig, indem er uns nacheinander bat, einen bestimmten Stein, einen Zweig oder ähnliches aus dem Gehölz am Rand der Quellen zu holen, wobei der Witz natürlich war, daß er uns unbedingt nackt sehen wollte. Währenddessen war sein Sohn in ein Gespräch mit Kürbisköpfchen vertieft, und wir brauchten wahrhaftig nicht lange, um zu begreifen, warum, denn Kürbisköpfchens Brüste, die ziemlich groß waren, trieben immer wieder nach oben und zeigten sich auf dem Wasser, während sie, wie gewohnt, drauflosschwatzte und nichts bemerkte.
Vielleicht finden Sie es sonderbar, daß wir alle zusammen badeten, Männer und Frauen, und daß wir später im selben Raum schlafen würden. Doch die Geishas tun so etwas ständig mit ihren besten Kunden – das heißt, zu meiner Zeit. Eine Geisha, die auf ihren Ruf achtet, wird sich bestimmt nicht allein mit einem Mann erwischen lassen, der nicht ihr danna ist. Aber in einer Gruppe wie der unseren gemeinsam zu baden, während das dunkle Wasser uns verbarg… Und was das Schlafen in einer Gruppe betrifft, so haben wir sogar ein Wort dafür – zakone –»Fischschlafen«. Wenn man sich einen Schwarm Makrelen zusammen in
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