Die Geisha - Memoirs of a Geisha
wollen wir nicht lieber zusammen ins Dorf hinuntergehen?«
Meine Worte schienen ihn sichtlich zu verwirren.
»Wir haben noch ungefähr eine Stunde, bis der Nachmittag vorüber ist«, fuhr ich fort, »und ich erinnere mich an etwas, das ich mir unbedingt noch einmal ansehen möchte.«
Nach einer langen Pause sagte der Minister: »Dann werde ich zuvor noch die Toilette aufsuchen müssen.«
»Ja, gut«, erklärte ich. »Gehen Sie und suchen Sie die Toilette auf. Wenn Sie fertig sind, warten Sie genau hier auf mich, und wir werden einen Spaziergang machen. Gehen Sie nicht weg, bis ich komme und Sie abhole.«
Dem Minister schien dies recht zu sein, denn er machte sich auf und ging den Korridor entlang. Ich selbst kehrte in unser Zimmer zurück. Dabei war ich so benommen – weil ich meinen Plan tatsächlich auszuführen gedachte –, daß ich, als ich die Hand an die Tür legte, um sie aufzuschieben, kaum spürte, daß meine Finger etwas berührten.
Kürbisköpfchen saß nicht mehr am Tisch. Sie wühlte in ihrem Reisekoffer und schien etwas zu suchen. Anfangs, als ich sie ansprechen wollte, brachte ich keinen Ton heraus. Ich mußte mich räuspern und versuchte es dann noch einmal.
»Entschuldige, Kürbisköpfchen«, sagte ich, »wenn du einen Augenblick Zeit für mich hättest…«
Sie schien keine große Lust zu haben, mit dem, was sie tat, aufzuhören, ließ aber dennoch von ihrem Koffer ab und ging mit mir aus dem Zimmer. Ich führte sie ein Stück den Flur entlang, wandte mich zu ihr um und sagte:
»Kürbisköpfchen, ich muß dich um einen Gefallen bitten.«
Ich erwartete, sie werde antworten, es werde ihr eine Freude sein, mir zu helfen, aber sie stand einfach da und starrte mich an.
»Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich dich bitte…«
»Nur zu«, sagte sie.
»Der Minister und ich wollen einen Spaziergang machen. Ich werde mit ihm ins alte Theater gehen und…«
»Wieso?«
»Damit ich mit ihm allein sein kann.«
»Mit dem Minister?« fragte Kürbisköpfchen ungläubig.
»Das erkläre ich dir ein andermal, aber ich möchte, daß du folgendes tust: Ich möchte, daß du mit Nobu dorthin kommst und… Dies wird dich wundern. Kürbisköpfchen, aber ich möchte, daß ihr uns erwischt.«
»Was soll das heißen, euch erwischen?«
»Ich möchte, daß du Nobu unter irgendeinem Vorwand dorthin führst und die Hintertür öffnest, die wir vorhin gesehen haben, damit… er uns sehen kann.«
Während ich ihr das erklärte, hatte Kürbisköpfchen durch das Blattwerk entdeckt, daß der Minister auf einem überdachten Steg wartete. Jetzt richtete sie den Blick wieder auf mich.
»Was führst du im Schilde, Sayuri?« fragte sie mich.
»Ich habe jetzt keine Zeit, dir alles zu erklären. Aber es ist furchtbar wichtig, Kürbisköpfchen. Ehrlich gesagt, meine ganze Zukunft liegt in deiner Hand. Aber sorge bitte dafür, daß du nur mit Nobu kommst, nicht mit dem Direktor – um Himmels willen nicht! – oder einem anderen. Ich werde mich dafür so revanchieren, wie du es wünschst.«
Daraufhin starrte sie mich sehr lange an. »Ist wohl mal wieder an der Zeit, Kürbisköpfchen um einen Gefallen zu bitten, ja?« sagte sie. Ich wußte nicht recht, was sie damit meinte, aber statt es mir zu erklären, ging sie ohne ein weiteres Wort davon.
Ich war mir nicht sicher, ob Kürbisköpfchen nun zugesagt hatte oder nicht. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich jedoch nichts weiter tun, als zum Arzt zu gehen, mir meine Spritze zu holen und zu hoffen, daß sie mit Nobu kommen würde. Ich ging auf den Minister im Korridor zu, und wir machten uns auf den Weg hügelabwärts.
Als wir die Wegbiegung hinter uns gebracht hatten und das Gasthaus nicht mehr sehen konnten, dachte ich unwillkürlich an den Tag, da Mameha mir einen Schnitt ins Bein beibringen ließ und mit mir zu Dr. Krebs gegangen war. An jenem Nachmittag hatte ich das Gefühl gehabt, in einer Art Gefahr zu schweben, die ich nicht ganz begreifen konnte, und jetzt hatte ich genau dasselbe Gefühl. Mein Gesicht war in der Nachmittagssonne so heiß geworden, als hätte ich zu nahe am Feuerbecken gesessen, und als ich den Minister ansah, entdeckte ich, daß ihm der Schweiß an den Schläfen herab bis auf den Hals hinunterrann. Wenn alles gutging, würde er diesen Hals schon bald an mich pressen… Bei diesem Gedanken zog ich meinen Fächer aus dem Obi und schwenkte ihn, bis mich der Arm schmerzte, um mir und dem Minister Kühlung zu verschaffen. Die ganze Zeit plauderte ich
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