Die Geisha - Memoirs of a Geisha
unentwegt, bis wir wenige Minuten darauf vor dem alten Theater mit dem Reetdach standen. Der Minister sah mich verständnislos an. Dann räusperte er sich und blickte zum Himmel hinauf.
»Würden Sie einen Moment mit mir hineinkommen, Minister?« bat ich ihn.
Er schien nicht zu wissen, was er davon halten sollte, doch als ich den Pfad neben dem Gebäude einschlug, trottete er gefügig hinter mir her. Ich erklomm die Steinstufen, öffnete die Tür und hielt sie ihm einladend auf. Er zögerte nur einen Moment und trat dann ein. Wäre er ein ständiger Besucher in Gion gewesen, hätte er sofort gewußt, was ich im Sinn hatte, denn eine Geisha, die einen Mann zu einem entlegenen Ort lockt, setzt ihren Ruf aufs Spiel, was eine erstklassige Geisha niemals leichtfertig täte. Doch der Minister stand innerhalb des Theaters im Sonnenschein wie ein Mann, der auf den Bus wartet. Meine Hände zitterten so stark, daß ich meinen Fächer falten und in den Obi zurückstecken mußte. Ich war mir ganz und gar nicht sicher, ob ich meinen Plan nun ausführen konnte. Der einfache Handgriff, die Tür zu schließen, kostete mich all meine Kraft. Dann standen wir in dem dunstigen Licht, das unter den Dachbalken hereindrang, und der Minister stand noch immer reglos da, den Blick auf einen Haufen Strohmatten in einer Ecke der Bühne gerichtet.
»Minister…«, sagte ich.
Meine Stimme hallte in dem kleinen Saal so stark wider, daß ich von da an leiser sprach.
»Wie ich hörte, haben Sie mit der Herrin des Ichiriki über mich gesprochen, nicht wahr?«
Er holte tief Luft, sagte dann aber doch nichts.
»Wenn ich darf, Minister«, fuhr ich fort, »würde ich Ihnen gern die Geschichte von einer Geisha namens Kazuyo erzählen. Sie lebt zwar nicht mehr in Gion, aber früher habe ich sie gut gekannt. Ein sehr bedeutender Mann – ganz ähnlich wie Sie, Minister – lernte Kazuyo eines Abends kennen und genoß ihre Gesellschaft so sehr, daß er jeden Abend nach Gion kam, um sie zu sehen. Nach ein paar Monaten bat er dann, Kazuyos danna werden zu dürfen, aber die Herrin des Teehauses entschuldigte sich und erklärte, das sei nicht möglich. Der Mann war tief enttäuscht. Eines Nachmittags ging Kazuyo mit ihm aber zu einem verschwiegenen Ort, wo sie allein sein konnten. Zu einem Ort, der diesem leeren Theater glich. Und dort erklärte sie ihm, daß er… obwohl er nicht ihr danna werden könne…«
Kaum hatte ich die letzten Worte ausgesprochen, da veränderte sich die Miene des Ministers wie ein Tal, wenn sich die Wolken verziehen und das Sonnenlicht darüber hinwegstreicht. Unbeholfen trat er einen Schritt auf mich zu. Sofort begann mir das Herz wie Trommeln in den Ohren zu dröhnen. Ich mußte den Blick von ihm abwenden und die Augen schließen. Als ich sie wieder öffnete, war mir der Minister so nahe gekommen, daß wir uns fast berührten, und gleich darauf spürte ich sein feuchtes, fleischiges Gesicht an meiner Wange. Ganz langsam schob er sich an mich heran, bis wir aneinandergepreßt dastanden. Er nahm meinen Arm – vermutlich, um mich auf den Boden zu zerren –, ich aber entzog mich ihm.
»Die Bühne ist zu staubig«, erklärte ich. »Bitte holen Sie uns eine Matte von dem Stapel da drüben.«
»Dann gehen wir eben da rüber«, sagte der Minister.
Hätten wir uns auf die Matten in der Ecke gelegt, hätte Nobu uns nicht im Sonnenlicht sehen können, wenn er die Tür des Gebäudes öffnete.
»Nein, nein«, widersprach ich. »Bitte, holen Sie eine Matte hierher.«
Der Minister gehorchte und blieb dann mit herabhängenden Händen stehen, um mich zu betrachten. Bis zu diesem Moment hatte ich mir noch vorgestellt, daß uns irgend etwas aufhalten könnte, doch jetzt merkte ich, daß das nicht geschehen würde. Die Zeit schien zu gerinnen. Meine Füße schienen einer anderen zu gehören, als ich aus meinen Lackzoris schlüpfte und auf die Matte trat.
Fast sofort schleuderte der Minister seine Schuhe von den Füßen und preßte sich an mich, schlang die Arme um mich und zerrte am Knoten meines Obi. Ich weiß nicht, was er sich dabei dachte, denn ich war ganz und gar nicht bereit, meinen Kimono auszuziehen. Also versuchte ich ihn daran zu hindern. Als ich mich an jenem Morgen ankleidete, war ich noch immer unentschlossen gewesen, hatte aber vorsichtshalber – weil ich dachte, es werde möglicherweise noch vor dem Ende des Tages Flecken davontragen – ein graues Unterkleid angezogen, das mir nicht besonders gut gefiel, sowie einen
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