Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Speichel auf meine Wange ergoß.
Wieder versuchte ich das Reispapier aus meinem Obi zu ziehen, nun aber lag der Minister zusammengesackt auf mir und keuchte so stark, als hätte er ein Wettrennen hinter sich. Gerade wollte ich ihn von mir stemmen, als ich draußen ein scharrendes Geräusch vernahm. Der Abscheu in mir war so stark gewesen, daß er alles andere übertönte. Nun aber, da ich mich an Nobu erinnerte, spürte ich wieder, wie mein Herz klopfte. Abermals vernahm ich ein Scharren: Es war das Geräusch von Schritten auf den Stufen draußen. Der Minister schien keine Ahnung zu haben, was ihm sogleich widerfahren würde. Er hob den Kopf und deutete damit so wenig interessiert zur Tür, als erwartete er höchstens einen Vogel zu sehen. Dann ging die Tür auf, und Sonnenlicht flutete herein. Ich mußte die Augen zusammenkneifen, um draußen zwei Gestalten ausmachen zu können. Da stand Kürbisköpfchen; sie war, wie ich es gehofft hatte, ins Theater gekommen. Aber der Mann, der neben ihr hereinspähte, war nicht Nobu! Ich hatte keine Ahnung, warum sie es getan hatte, aber Kürbisköpfchen hatte statt dessen den Direktor mitgebracht.
34. KAPITEL
An das, was geschah, nachdem die Tür aufging, kann ich mich kaum noch erinnern. Ich glaube, mir wich das Blut vollständig aus dem Körper, so kalt und gefühllos wurde ich. Daß der Minister von mir herunterstieg, weiß ich, aber vielleicht habe ich ihn auch weggestoßen. Ich erinnere mich, daß ich weinte und ihn fragte, ob er dasselbe gesehen hatte wie ich, ob es wirklich der Direktor war, der da in der Tür gestanden hatte. Da die Nachmittagssonne hinter ihm stand, hatte ich den Gesichtsausdruck des Direktors nicht erkennen können, doch als die Tür wieder zuschlug, bildete ich mir ein, an ihm ein wenig von dem Schock entdeckt zu haben, den ich selbst empfand. Ich weiß nicht, ob er wirklich schockiert war – ich möchte es bezweifeln. Aber wenn wir Schmerz empfinden, scheinen für uns selbst die blühenden Bäume gramgebeugt zu sein, und nachdem ich den Direktor dort gesehen hatte… Nun ja, ich hätte meinen eigenen Schmerz einfach in allem widergespiegelt gesehen, was ich anblickte.
Wenn man bedenkt, daß ich den Minister einzig zu dem Zweck in jenes leere Theater gelockt hatte, um mich in Gefahr zu begeben – damit das Schwert sozusagen auf den Hackklotz herabsauste –, werden Sie sicher verstehen, daß ich inmitten des Kummers, der Angst und des Abscheus, die mich fast überwältigten, auch noch eine gewisse Erregung empfand. In dem Augenblick bevor die Tür aufging, konnte ich fast spüren, wie mein Leben sich erweiterte wie ein Fluß, dessen Wasser zu steigen beginnen, denn nie zuvor hatte ich einen so drastischen Schritt unternommen, um den Lauf meines Lebens zu verändern. Ich glich einem Kind, das auf Zehenspitzen an einem Abgrund am Meer entlangbalanciert. Und dennoch hatte ich mir irgendwie nicht vorstellen können, daß eine riesige Woge kommen, mich überspülen und alles einfach davonschwemmen würde.
Als das Chaos der Gefühle nachließ und ich allmählich wieder zu mir kam, kniete Mameha neben mir. Verwirrt entdeckte ich, daß ich mich nicht mehr im alten Theater befand, sondern vom Tatami-Boden eines kleinen, dunklen Zimmers im Gasthaus zu ihr emporblickte. Ich erinnere mich nicht, das Theater verlassen zu haben, doch irgendwie mußte ich das wohl getan haben. Später berichtete mir Mameha, ich sei zum Gastwirt gegangen und habe ihn um einen entlegenen Platz zum Ausruhen gebeten. Er habe erkannt, daß ich mich nicht wohl fühlte, und sei gleich darauf Mameha suchen gegangen.
Zum Glück schien Mameha bereitwillig zu glauben, daß ich wirklich krank war, und ließ mich dort ruhen. Als ich später, noch immer benommen und mit einem schrecklichen Gefühl der Angst, in den großen Raum zurückkehrte, sah ich, wie Kürbisköpfchen vor mir auf den überdachten Steg hinaustrat. Als sie mich sah, blieb sie stehen, doch statt herbeizueilen und sich zu entschuldigen, wie ich es fast erwartet hatte, richtete sie ihren Blick so langsam auf mich wie eine Schlange, die eine Maus entdeckt hat.
»Ach, Kürbisköpfchen«, sagte ich leise, »ich hatte dich doch gebeten, Nobu mitzubringen, nicht den Direktor. Ich begreife nicht…«
»Ja, Sayuri, es muß schwer für dich sein zu begreifen, daß im Leben nicht immer alles perfekt klappt.«
»Perfekt? Schlimmer hätte es nicht kommen können… Hast du mich vielleicht falsch verstanden?«
»Du hältst mich
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