Die Geisha - Memoirs of a Geisha
tatsächlich für dumm!« stellte sie fest.
Ich war verwirrt und blieb lange schweigend stehen. »Ich dachte, du wärst meine Freundin«, sagte ich schließlich.
»Ich hatte früher auch einmal gedacht, du wärst meine Freundin. Aber das ist lange her.«
»Du redest, als hätte ich dir etwas angetan, Kürbisköpfchen, dabei…«
»O nein, so etwas würdest du nie tun, was? Doch nicht das perfekte Fräulein Nitta Sayuri! Für dich spielt es vermutlich keine Rolle, daß du meinen Platz als Tochter der Okiya eingenommen hast, wie? Erinnerst du dich daran, Sayuri? Nachdem ich mir so große Mühe gegeben hatte, dir mit diesem Doktor zu helfen – wie immer er geheißen hat. Nachdem ich riskiert hatte, daß Hatsumomo wütend auf mich wurde, weil ich dir geholfen hatte! Und dann einfach alles verdreht und mir gestohlen, was mir gehörte. All die Monate habe ich mich gefragt, warum du mich in diesen kleinen Kreis um den Minister geholt hast. Tut mir aufrichtig leid, daß es dir diesmal nicht so leichtgefallen ist, mich auszunutzen…«
»Aber Kürbisköpfchen«, fiel ich ihr ins Wort, »hättest du dich nicht einfach weigern können, mir zu helfen? Warum mußtest du den Direktor mitbringen?«
Sie richtete sich zu voller Höhe auf. »Ich weiß genau, was du für ihn empfindest«, erklärte sie. »Jedesmal, wenn niemand hinsieht, kleben deine Blicke an ihm wie das Fell an einem Hund.«
Sie war so zornig, daß sie sich auf die Lippe gebissen hatte. Ich sah einen Fleck Lippenstift auf ihren Zähnen. Also hatte sie sich vorgenommen, mich auf die schlimmstmögliche Art zu verletzen, das war mir jetzt klar.
»Du hast mir vor langer Zeit etwas weggenommen, Sayuri. Weißt du jetzt, was für ein Gefühl das ist?« sagte sie. Ihre Nasenflügel bebten, und ihr Gesicht wurde vom Zorn verzerrt wie ein brennender Zweig. Es war, als hätte Hatsumomos Geist all die Jahre in ihr geschlummert und wäre nun endlich freigekommen.
Der Rest des Abends war für mich nur noch ein verschwommener Ablauf von Ereignissen, und ich fürchtete mich vor jedem einzelnen Moment, der vor mir lag. Während die anderen trinkend und lachend am Tisch saßen, vermochte ich das Lachen nur vorzutäuschen. Ich muß den ganzen Abend lang hochrot gewesen sein, denn Mameha berührte von Zeit zu Zeit meinen Hals, um zu prüfen, ob ich Fieber hatte. Damit sich unsere Blicke nicht begegneten, hatte ich mich so weit wie nur möglich vom Direktor entfernt niedergelassen, und so gelang es mir, den Abend durchzustehen, ohne ihn anzuschauen. Doch später, als wir uns alle zum Schlafengehen bereit machten, trat ich in den Flur hinaus, gerade als er ins Zimmer zurückkehrte. Ich hätte ihm ausweichen müssen, aber ich war so tief beschämt, daß ich statt dessen mit einer kleinen Verbeugung an ihm vorbeieilte und keinen Versuch machte, meinen Kummer zu verbergen.
Es war ein äußerst qualvoller Abend, von dem mir nur eins in Erinnerung geblieben ist: Irgendwann, nachdem alle anderen schliefen, wanderte ich benommen in die Nacht und bis zu den Meeresklippen hinaus, wo ich in die Dunkelheit starrte, während unter mir die Wellen brausten. Das Donnern des Meeres klang wie eine bittere Klage. Mir war, als entdeckte ich unter allem eine Schicht Grausamkeit, von deren Existenz ich bisher nie etwas geahnt hatte – als hätten sich die Bäume, der Wind und sogar die Felsen, auf denen ich stand, mit meiner alten Kindheitsfeindin Hatsumomo verbündet. Das Heulen des Windes und das Zittern der Bäume – alles schien mich zu verspotten. War es möglich, daß sich der Fluß meines Lebens tatsächlich für immer geteilt hatte? Ich zog das Taschentuch des Direktors aus dem Ärmel, denn ich hatte es an jenem Abend mit ins Bett genommen, damit es mir zum letztenmal Trost spende. Ich trocknete mein Gesicht damit und hielt es hoch in den Wind. Gerade wollte ich es in die Dunkelheit hinaustanzen lassen, als mir die winzigen Totentäfelchen einfielen, die Herr Tanaka mir vor so vielen Jahren geschickt hatte. Wir müssen immer etwas zur Erinnerung an jene zurückbehalten, die uns verlassen haben. Die Totentäfelchen in der Okiya waren alles, was von meiner Kindheit geblieben war. Das Taschentuch des Direktors war das, was vom Rest meines Lebens zurückbleiben würde.
Wieder in Kyoto zurück, ließ ich mich vom Strom meiner Aktivitäten über die nächsten paar Tage tragen. Mir blieb nichts anderes übrig, ich mußte wie immer mein Make-up auflegen und Engagements in den Teehäusern
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