Die Geisha - Memoirs of a Geisha
wahrnehmen, als hätte sich nichts auf der Welt verändert. Immer wieder sagte ich mir, was Mameha mir früher einmal gesagt hatte: daß nichts so gut über eine Enttäuschung hinweghelfen könne wie die Arbeit. Doch meine Arbeit schien mir nicht im geringsten zu helfen. Jedesmal, wenn ich ins Ichiriki-Teehaus ging, mußte ich daran denken, daß Nobu demnächst auftauchen würde, um mir mitzuteilen, daß endlich alles arrangiert sei. Nachdem er die vergangenen Monate so stark beschäftigt gewesen war, erwartete ich nicht, allzu bald von ihm zu hören, frühestens in ein oder zwei Wochen. Aber am Mittwochmorgen, drei Tage nach unserer Rückkehr von Amami, wurde ich benachrichtigt, daß Iwamura Electric im Ichiriki-Teehaus angerufen und um meine Anwesenheit am selben Abend gebeten habe.
An jenem Spätnachmittag wählte ich einen gelben Kimono aus Seidenbatist mit einem grünen Unterkleid und einem tiefblauen, mit Goldfaden durchwirkten Obi. Tantchen versicherte mir, daß ich bezaubernd aussähe, doch als ich mich im Spiegel betrachtete, fand ich, daß ich wie eine Frau wirkte, die eine Niederlage erlitten hatte. Auch früher schon hatte ich zuweilen erlebt, daß ich kurz vor dem Verlassen der Okiya mit meinem Aussehen nicht zufrieden war. Zumeist aber fand ich mindestens ein Detail an mir, das ich im Verlauf des Abends einsetzen konnte. Ein bestimmtes dattelpflaumenfarbenes Untergewand zum Beispiel ließ meine Augen unfehlbar, und wenn ich noch so abgespannt war, mehr blau als grau erscheinen. An diesem Abend aber fand ich mein Gesicht unterhalb der Jochbeine ganz und gar hohlwangig, obwohl ich, wie gewöhnlich, westliches Make-up aufgelegt hatte, und selbst meine Frisur schien schief zu sitzen. Mir wollte nichts einfallen, womit sich mein Aussehen verbessern ließ, ich konnte höchstens Herrn Bekku bitten, meinen Obi einen Fingerbreit höher zu binden, um meinen niedergeschlagenen Ausdruck ein wenig zu mildern.
Mein erstes Engagement war ein Bankett, das ein amerikanischer Colonel zu Ehren des neuen Gouverneurs der Präfektur Kyoto gab. Es fand auf dem vormaligen Anwesen der Familie Sumitomo statt, auf dem sich jetzt das Hauptquartier der siebten Division der amerikanischen Armee befand. Ich wunderte mich darüber, daß so viele der schönen Steine im Garten weiß gestrichen und an die Bäume hier und da Schilder auf englisch – das ich natürlich nicht verstand – geheftet worden waren. Als die Party vorüber war, ging ich zum Ichiriki und wurde von einer Dienerin in jenes seltsame kleine Zimmer gebracht, in dem Nobu sich mit mir an dem Abend getroffen hatte, als Gion geschlossen wurde. Dort erfuhr ich von dem Zufluchtsort, den er für mich gefunden hatte, um mich vor dem Krieg zu bewahren, und es schien mir durchaus angebracht, daß wir uns in ebendiesem Zimmer trafen, um die Tatsache zu feiern, daß er mein danna wurde – obwohl es für mich alles andere als ein Freudenfest werden würde. Ich ließ mich an einem Ende des Tisches nieder, damit Nobu mit dem Gesicht zur Wandnische sitzen konnte. Rücksichtsvoll setzte ich mich so, daß er mit seinem einen Arm Sake einschenken konnte, ohne daß der Tisch ihm im Weg war. Bestimmt würde er mir, nachdem er mir mitgeteilt hatte, es sei nun alles arrangiert, eine Tasse Sake anbieten wollen. Für Nobu würde es ein schöner Abend werden, und ich würde mir die größe Mühe geben, ihn nicht zu verderben.
Durch das matte Licht und den rötlichen Schimmer der teefarbenen Wände war die Atmosphäre wirklich sehr angenehm. Ich hatte den ganz eigenartigen Duft in diesem Zimmer vergessen, eine Kombination von Staub und Firnis, doch nun, da ich ihn wieder roch, fielen mir Einzelheiten von jenem Abend mit Nobu ein, an die ich mich sonst nicht erinnert hätte. Er hatte Löcher in beiden Socken gehabt und durch eins hatte ein schlanker großer Zeh mit einem sehr gepflegten Nagel gelugt. War es möglich, daß erst fünfeinhalb Jahre seit jenem Abend vergangen waren? Mir schien eine ganze Generation gekommen und wieder gegangen zu sein – so viele der Menschen, die ich damals gekannt hatte, waren jetzt tot. War dies das Leben, das zu führen ich nach Gion zurückgekehrt war? Es war, wie Mameha es mir einst erklärt hatte: Wir werden nicht Geishas, damit wir ein schönes Leben führen können. Wir werden Geishas, weil wir keine andere Wahl haben. Wäre meine Mutter am Leben geblieben, wäre ich vielleicht selbst Ehefrau und Mutter an der Küste geworden und hätte Kyoto lediglich
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