Die Geisha - Memoirs of a Geisha
dich haben konnte. Das Leben ist grausam mit ihm umgesprungen, Sayuri. Er hat zuwenig Freundlichkeit erlebt.«
In all den Jahren als Geisha habe ich mir nie auch nur eine Sekunde einreden können, daß der Direktor mir besondere Gefühle entgegenbrachte. Und nun zu wissen, daß er mich für Nobu bestimmt hatte…
»Ich habe nie beabsichtigt, dir so wenig Aufmerksamkeit zu schenken«, fuhr er fort, »aber dir ist sicherlich klar, daß er, sowie er auch nur den kleinsten Hinweis auf meine Gefühle entdeckt hätte, dich augenblicklich aufgegeben hätte.«
Seit ich ein kleines Mädchen war, träumte ich davon, daß mir der Direktor eines Tages gestehen würde, wie gern er mich habe, hatte aber nie geglaubt, daß so etwas wirklich einmal geschehen würde. Und ganz gewiß hätte ich mir nicht vorstellen können, daß er mir sagte, was ich von ihm zu hören hoffte, mir aber zugleich erklärte, daß Nobu meine Bestimmung sei. Vielleicht würde mir mein Lebensziel entgleiten, aber wenigstens in diesem einen Augenblick lag es in meiner Macht, mit dem Direktor in einem Zimmer zu sitzen und ihm zu sagen, wie tief meine Gefühle für ihn waren.
»Bitte, verzeihen Sie mir das, was ich Ihnen jetzt sagen werde«, brachte ich schließlich heraus.
Ich wollte fortfahren, doch irgendwie hatte meine Kehle beschlossen, ausgerechnet jetzt zu schlucken, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was ich schluckte, es sei denn, es war der kleine Knoten der Gefühle, für den in meinem Gesicht kein Platz mehr war.
»Ich empfand große Zuneigung zu Nobu, doch was ich auf Amami getan habe…« Hier mußte ich ein heißes Brennen in meiner Kehle erdulden, bevor ich weitersprechen konnte. »Was ich auf Amami getan habe, das habe ich wegen meiner Gefühle für Sie getan, Direktor. Jeden Schritt, den ich in Gion getan habe, habe ich in der Hoffnung getan, daß er mich Ihnen näherbringen werde.«
Als ich diese Worte ausgesprochen hatte, schien mir die ganze Hitze meines Körpers ins Gesicht zu schießen. Ich meinte, in die Luft steigen zu müssen wie ein Ascheflöckchen aus einem Feuer, wenn es mir nicht gelang, mich auf irgend etwas im Raum zu konzentrieren. Ich versuchte einen Fleck auf der Tischplatte zu finden, aber der Tisch begann bereits zu verschwimmen und aus meinem Blickfeld zu verschwinden.
»Sieh mich an, Sayuri!«
Ich wollte, konnte aber nicht.
»Wie seltsam«, fuhr er so leise fort, als spräche er mit sich selbst, »daß dieselbe Frau, die mir als Kind vor so vielen Jahren offen in die Augen gesehen hat, jetzt nicht dazu in der Lage ist.«
Es hätte wohl eine sehr einfache Aufgabe sein sollen, den Blick zu heben und den Direktor anzusehen, doch irgendwie war ich mindestens so nervös, als wäre ich allein auf einer Bühne, während ganz Kyoto mir zusah. Wir saßen an einer Tischecke so dicht beieinander, daß ich, als ich mir schließlich die Augen wischte und den Blick hob, um ihn anzusehen, den dunklen Ring um seine Iris erkennen konnte. Ich fragte mich, ob ich den Blick abwenden, mich ganz leicht verneigen und dann erbieten sollte, ihm eine Tasse Sake einzuschenken, doch eine Geste hätte nicht ausgereicht, die Spannung zwischen uns zu lösen. Während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, schob der Direktor die Sakeflasche und seine Tasse beiseite, streckte die Hand aus und griff nach meinem Kimonokragen, um mich an sich zu ziehen. Ich bemühte mich immer noch zu begreifen, was mir da geschah – und überlegte, was ich tun oder sagen sollte –, als der Direktor mich noch näher an sich zog und mich küßte.
Es wird Sie überraschen zu erfahren, daß ich damals zum allererstenmal richtig geküßt wurde. General Tottori hatte seine Lippen zwar gelegentlich auf die meinen gedrückt, als er mein danna war, doch das geschah ohne jegliches Gefühl. Damals hatte ich mich gefragt, ob er vielleicht einfach sein Gesicht anlehnen wollte. Sogar Yasuda Akira – der Mann, der mir einen Kimono geschenkt und den ich an jenem Abend im Tatematsu-Teehaus verführt hatte – muß mich ein dutzendmal auf Hals und Gesicht geküßt haben, hatte aber nie meine Lippen mit den seinen berührt. Also können Sie sich vorstellen, daß dieser Kuß, der erste richtige Kuß meines Lebens, auf mich weitaus intimer wirkte als alles, was ich je erlebt hatte. Ich hatte das Gefühl, dem Direktor etwas zu nehmen, während der Direktor mir etwas gab, etwas weit Intimeres, als irgend jemand sonst mir jemals gegeben hatte. Da war ein gewisser, sehr
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