Die Geisha - Memoirs of a Geisha
der Direktor sie gefunden?«
»Ach, die habe ich schon vor Jahren gekauft. Aber betrachten Sie doch bitte diese Frau. Sie ist der Grund, warum ich die Rolle gekauft habe. Fällt Ihnen daran etwas auf?«
Die Herrin musterte die Malerei, dann drehte der Direktor die Rolle so herum, daß auch ich sie betrachten konnte. Das Bild der jungen Frau war, obwohl nicht größer als eine große Münze, in exquisitem Detail gemalt. Anfangs fiel es mir nicht auf, aber ihre Augen waren hell… und als ich näher hinsah, entdeckte ich, daß sie grau waren. Sie erinnerten mich sofort an die Bilder, die Uchida mit mir als Modell gemalt hatte. Ich errötete und murmelte etwas davon, wie wunderschön die Bildrolle sei. Auch die Herrin bewunderte sie einen Moment und sagte dann:
»Nun, ich muß Sie jetzt allein lassen. Ich werde Ihnen ein wenig von dem frisch gekühlten Sake schicken, den ich erwähnt habe. Es sei denn, Sie meinen, ich soll ihn aufheben, bis Nobu-san das nächstemal kommt.«
»Machen Sie sich keine Umstände«, antwortete er. »Wir begnügen uns mit dem Sake, den wir haben.«
»Nobu-san geht es doch… gut, oder?«
»Aber ja«, sagte der Direktor. »Sehr gut sogar.«
Als ich das hörte, war ich erleichtert, zugleich aber merkte ich, wie mir vor Scham übel wurde. Wenn der Direktor nicht gekommen war, um mir Nachricht von Nobu zu bringen, war er bestimmt aus einem anderen Grund hier – vermutlich, um mich für das, was ich getan hatte, zu tadeln. In den wenigen Tagen seit unserer Rückkehr aus Kyoto hatte ich versucht, nicht daran zu denken, was er gesehen haben mußte: den Minister mit heruntergelassener Hose, meine nackten Beine, die aus dem ungeordneten Kimono ragten…
Als die Herrin das Zimmer verließ, klang das Geräusch der Tür, die sie hinter sich zuzog, wie ein Schwert, das aus der Scheide gezogen wird.
»Direktor«, begann ich so ruhig, wie es mir möglich war, »dürfte ich bitte sagen, daß mein Verhalten auf Amami…«
»Ich weiß, was du denkst, Sayuri. Aber ich bin nicht hergekommen, um von dir eine Entschuldigung zu fordern. Sitz einen Augenblick still. Ich möchte dir etwas erzählen, was sich vor vielen Jahren ereignet hat.«
»Ich bin so furchtbar verwirrt, Direktor«, brachte ich heraus. »Bitte, verzeihen Sie mir, aber…«
»Hör einfach zu. Gleich wirst du verstehen, warum ich dir dies erzähle. Erinnerst du dich an ein Restaurant namens Tsumiyo? Es hat gegen Ende der Wirtschaftskrise geschlossen, aber… Nun ja, lassen wir das, du warst damals sehr jung. Wie dem auch sei, vor ein paar Jahren – achtzehn, um genau zu sein – ging ich einmal mit mehreren Mitarbeitern zum Mittagessen dorthin. Wir wurden von einer Geisha aus dem Pontocho-Viertel begleitet, Izuko.«
Den Namen Izuko erkannte ich sofort.
»Sie war damals allgemein beliebt«, fuhr der Direktor fort. »Da wir unser Mittagessen ziemlich früh beendet hatten, schlug ich vor, auf dem Weg zum Theater einen Spaziergang am Shirakawa-Bach zu machen.«
Inzwischen hatte ich das Taschentuch des Direktors aus meinem Obi gezogen, breitete es stumm auf der Tischplatte aus und strich es glatt, damit sein Monogramm deutlich zu sehen war. Im Lauf der Jahre hatte das Taschentuch in einer Ecke einen Fleck bekommen, und das Leinen war vergilbt, aber der Direktor schien es sofort zu erkennen. Er verstummte und nahm es auf.
»Woher hast du das?«
»All diese Jahre, Direktor«, sagte ich, »habe ich mich gefragt, ob Sie wußten, daß ich das kleine Mädchen war, mit dem Sie damals gesprochen haben. An jenem Nachmittag, als Sie auf dem Weg zu der Aufführung von Shibaraku waren, gaben Sie mir dieses Taschentuch. Außerdem gaben Sie mir eine Münze…«
»Soll das heißen… obwohl du damals noch nicht mal eine Geishaschülerin warst, wußtest du, daß ich der Mann bin, der mit dir gesprochen hatte?«
»Ich erkannte den Direktor sofort, als ich ihn bei dem Sumo-Turnier wiedersah. Ehrlich gesagt, ich bin erstaunt, daß sich der Direktor an mich erinnert.«
»Nun, vielleicht solltest du manchmal in den Spiegel sehen, Sayuri. Vor allem, wenn deine Augen vom Weinen naß sind, denn dann werden sie… Ich kann es nicht erklären. Ich hatte das Gefühl, durch sie hindurchzusehen. Weißt du, ich sitze so oft Männern gegenüber, die mir nie so ganz die Wahrheit sagen, und da war nun ein Mädchen, das mich noch nie zuvor gesehen hatte und dennoch bereit war, mich in ihr Innerstes blicken zu lassen.«
Dann jedoch unterbrach sich der
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