Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Direktor.
»Hast du dich eigentlich nie gefragt, warum Mameha deine ältere Schwester wurde?« erkundigte er sich.
»Mameha?« gab ich zurück. »Ich weiß nicht, was Sie meinen. Was hat Mameha damit zu tun?«
»Du weißt es wirklich nicht, stimmt’s?«
»Was, Direktor?«
»Daß ich es war, Sayuri, der Mameha gebeten hat, dich unter ihre Fittiche zu nehmen. Ich berichtete ihr von einem schönen jungen Mädchen, dem ich begegnet war, mit auffallenden grauen Augen, und bat sie, dir zu helfen, falls du ihr jemals in Gion über den Weg laufen solltest. Und sie ist dir begegnet – nur wenige Monate darauf. Nach allem, was sie mir im Lauf der Jahre von dir berichtet hat, wärst du ohne ihre Hilfe niemals eine Geisha geworden.«
Es ist fast unmöglich, die Wirkung zu beschreiben, welche die Worte des Direktors auf mich hatten. Ich hatte es immer für selbstverständlich gehalten, daß Mameha persönliche Gründe gehabt hatte, daß sie sich und Gion von Hatsumomo befreien wollte. Jetzt, wo ich den eigentlichen Grund erfuhr, nämlich, daß sie mich nur wegen des Direktors angenommen hatte… Nun ja, ich hatte das Gefühl, mir sämtliche Bemerkungen, die sie jemals zu mir gemacht hatte, ins Gedächtnis rufen zu müssen und mich zu fragen, was wohl der eigentliche Sinn dahinter war. Und nicht nur Mameha hatte sich in meinen Augen plötzlich verwandelt, auch ich selbst schien eine andere Frau geworden zu sein. Als mein Blick auf meine Hände fiel, die in meinem Schoß lagen, sah ich sie plötzlich als Hände, die der Direktor geschaffen hatte. Ich fühlte mich freudig erregt, verängstigt und dankbar, alles zugleich. Ich rückte ein wenig vom Tisch zurück, um mich zu verneigen und ihm meine Dankbarkeit auszusprechen, aber zuvor mußte ich noch etwas anderes sagen:
»Verzeihen Sie, Direktor, aber ich wünschte, Sie hätten mir das schon vor Jahren erklären können… dies alles. Ich kann Ihnen nicht sagen, wieviel es mir bedeutet hätte!«
»Es gibt einen Grund, warum ich das nicht tun konnte, Sayuri, und ich mußte darauf bestehen, daß Mameha es dir auch nicht erzählt. Dieser Grund hat mit Nobu zu tun.«
Als ich Nobus Namen hörte, wichen alle Gefühle aus meinem Körper, denn ich glaubte plötzlich zu wissen, worauf der Direktor die ganze Zeit hinausgewollt hatte.
»Ich weiß, daß ich Ihrer Freundlichkeit unwürdig bin, Direktor«, sagte ich. »Am vergangenen Wochenende, als ich…«
»Ich muß gestehen, Sayuri«, fiel er mir ins Wort, »daß mir das, was auf Amami geschehen ist, keine Ruhe gelassen hat.«
Ich spürte, daß der Direktor mich ansah, doch ich konnte seinen Blick nicht erwidern.
»Es gibt etwas, worüber ich mit dir sprechen muß«, fuhr er fort. »Ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht, wie ich das wohl anfangen soll. Immer wieder muß ich an etwas denken, das vor vielen Jahren geschehen ist. Ich bin überzeugt, daß es eine bessere Art gäbe, mich auszudrücken, aber… ich hoffe, daß du verstehen wirst, was ich dir zu sagen versuche.«
Hier hielt er inne, um sein Jackett abzulegen und es auf den Matten neben sich zusammenzufalten. Ich roch die Stärke in seinem Hemd, was mich an den General und an sein Zimmer im Suruya-Gasthaus erinnerte, das oft nach Bügeln roch.
»Damals, als Iwamura Electric noch eine junge Firma war«, begann der Direktor, »lernte ich einen Mann namens Ikeda kennen, der bei einem unserer Lieferanten auf der anderen Seite der Stadt arbeitete. Er war ein Genie darin, Lösungen für Leitungsprobleme zu finden. Manchmal, wenn wir Schwierigkeiten mit einer Installation hatten, liehen wir ihn uns für einen Tag aus, und er brachte alles in Ordnung. Als ich eines Nachmittags von der Arbeit nach Hause fuhr, traf ich ihn zufällig in einer Apotheke. Wie er mir erklärte, fühlte er sich sehr entspannt, weil er seine Arbeit aufgegeben hatte. Ich fragte ihn, warum er das getan hatte. ›Es wurde Zeit zu kündigen, also habe ich gekündigt‹, antwortete er. Nun ja, ich habe ihn sofort eingestellt. Ein paar Wochen später fragte ich ihn dann noch einmal: ›Warum haben Sie Ihre Arbeit auf der anderen Seite der Stadt aufgegeben, Ikeda-san?‹ Und er antwortete: ›Seit vielen Jahren, Herr Iwamura, wollte ich schon in Ihrer Firma arbeiten, aber Sie haben mich nie dazu aufgefordert. Sie haben mich immer gerufen, wenn Sie ein Problem hatten, aber Sie haben mich nie gebeten, für Sie zu arbeiten. Dann wurde mir eines Tages klar, daß Sie mich niemals bitten würden, weil Sie
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