Die Geisha - Memoirs of a Geisha
die Haare. Nur zur Sicherheit.«
Tantchen rief eine Dienerin herbei und ließ sie eine Schere holen.
»Nun gut, Kleine«, wandte sich Mutter an mich, »jetzt bist du in Kyoto. Du wirst lernen müssen, wie man sich benimmt, sonst bekommst du Prügel. Und da Großmama hier die Prügel verteilt, wird es dir sehr leid tun. Ich gebe dir einen guten Rat: Arbeite fleißig, geh nicht ohne Erlaubnis aus, tu, was man dir sagt, und mach uns so nicht zu viele Probleme, dann könntest du in zwei, drei Monaten damit anfangen, die Künste einer Geisha zu erlernen. Ich habe dich nicht hergeholt, damit du die Dienste einer Magd verrichtest. Sollte es jemals so weit kommen, werde ich dich hinauswerfen.«
Mutter paffte ihre Pfeife, wandte aber keinen Blick von mir. Ich wagte mich nicht zu regen, solange sie es mir nicht befahl. Ich fragte mich, ob meine Schwester in einem anderen Haus irgendwo in dieser gräßlichen Stadt vor einer ebenso grausamen Frau stand. Und plötzlich sah ich meine arme, kranke Mutter vor mir, wie sie sich auf ihrem Futon mühsam auf einen Ellbogen stützte, um zu sehen, wohin wir gegangen waren. Ich wollte nicht, daß Mutter mich weinen sah, aber die Tränen sammelten sich einfach in meinen Augen. Mutters gelber Kimono verschwamm immer stärker vor meinen Augen, bis er plötzlich zu funkeln schien. Dann stieß sie eine Rauchwolke aus, und er war ganz und gar verschwunden.
4. KAPITEL
Während jener ersten Tage an diesem fremden Ort habe ich mich unendlich elend gefühlt. Wenn ich statt Familie und Zuhause Arme und Beine verloren hätte – ich hätte mich nicht schlimmer fühlen können. Ganz zweifellos würde das Leben nie wieder so werden wie früher. Alles, woran ich denken konnte, waren meine Verwirrung und mein Kummer, und Tag für Tag fragte ich mich, ob ich Satsu jemals wiedersehen würde. Ich hatte keinen Vater mehr, ich hatte keine Mutter mehr, nicht mal die Kleidung, die ich sonst immer getragen hatte, besaß ich noch. Und doch war das, worüber ich mich nach einer Weile am meisten wunderte, die Tatsache, daß ich noch am Leben war. Ich erinnere mich an einen Moment, als ich in der Küche Reisschalen abtrocknete und mich auf einmal so desorientiert fühlte, daß ich innehalten und ziemlich lange auf meine Hände hinabstarren mußte, weil ich einfach nicht begreifen konnte, daß diese Person, die da die Reisschalen abtrocknete, tatsächlich ich selbst war.
Mutter hatte mir erklärt, wenn ich fleißig arbeite und mich gut betrage, dürfe ich nach ein paar Monaten mit meiner Ausbildung beginnen. Wie ich von Kürbisköpfchen erfuhr, bedeutete das, daß ich eine Schule in einem anderen Teil von Gion besuchen mußte, um in Fächern wie Musik, Tanz und Teezeremonie unterrichtet zu werden. Alle Mädchen, die Geishas werden wollten, mußten dieselbe Schule besuchen. Da ich sicher war, daß ich Satsu dort treffen würde, wenn ich endlich soweit war, beschloß ich am Ende meiner ersten Woche, so gehorsam zu sein wie eine Kuh an der Leine, denn ich hoffte, daß Mutter mich dann sofort in die Schule schicken würde.
Die meisten Arbeiten, die ich verrichten mußte, waren simpel. Am Morgen räumte ich die Futons fort, säuberte die Zimmer, fegte den Hofkorridor und so weiter. Manchmal wurde ich in die Apotheke geschickt, um eine Salbe für die Krätze der Köchin zu holen, oder in einen Laden an der Shijo-Avenue, um die Reiskuchen zu holen, die Tantchen so schmeckten. Zum Glück war für die unangenehmsten Arbeiten wie etwa das Reinigen der Toiletten eine der älteren Dienerinnen zuständig. Aber ich konnte so fleißig arbeiten, wie ich wollte – nie schien ich den guten Eindruck zu machen, den ich zu machen hoffte, weil man mir jeden Tag mehr Aufgaben zuteilte, als ich beim besten Willen erledigen konnte, und Großmama machte das Ganze nur noch schlimmer.
Für Großmama zu sorgen gehörte eigentlich nicht zu meinen Pflichten – jedenfalls hatte Tantchen nichts davon erwähnt. Aber wenn Großmama mich rief, konnte ich das nicht gut ignorieren, denn sie war die Älteste in der Okiya. Eines Tages zum Beispiel wollte ich Mutter gerade Tee hinaufbringen, als ich Großmama rufen hörte.
»Wo ist dieses Mädchen? Sie soll sofort zu mir kommen!«
Also mußte ich Mutters Tablett abstellen und in das Zimmer laufen, in dem Großmama zu Mittag aß.
»Merkst du nicht, daß es in diesem Zimmer zu heiß ist?« schalt sie mich, nachdem ich mich vor ihr hingekniet und verneigt hatte. »Du hättest herkommen und das
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