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Die Geisha - Memoirs of a Geisha

Titel: Die Geisha - Memoirs of a Geisha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Golden
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empfand ich eine unerklärliche Zuneigung für Mutter – etwa so, wie ein Fisch Zuneigung für den Fischer empfindet, der ihm den Haken herauszieht. Vermutlich kam das daher, daß ich sie jeden Tag nur wenige Minuten sah, während ich ihr Zimmer putzte. Dabei saß sie unweigerlich an ihrem Tisch, vor sich ein aufgeschlagenes Kontobuch aus dem Bücherschrank, die Finger an den Elfenbeinkugeln ihres Abakus’. Sie war zwar sehr ordentlich im Umgang mit ihren Kontobüchern, in jeder anderen Hinsicht war sie jedoch noch chaotischer als Hatsumomo. Wann immer sie mit lautem Klacken ihre Pfeife auf den Tisch legte, flogen Ascheflocken und Tabakreste heraus, die sie einfach liegenließ. Sie duldete nicht, daß jemand ihren Futon berührte, nicht einmal, um die Laken zu wechseln, so daß das ganze Zimmer nach schmutziger Wäsche roch. Und die Papierschirme vor den Fenstern, die durch ihre Raucherei stark verfärbt waren, verliehen dem Raum eine düstere Atmosphäre.
    Während Mutter telefonierte, kam eine der älteren Dienerinnen mit ein paar Streifen frisch geschnittenem Ingwer herein, die ich mir an die Wange halten sollte, auf die Hatsumomo mich geschlagen hatte. Das Geräusch der Schiebetür weckte Mutters kleinen Hund Taku, ein äußerst übellauniges Tier mit plattgedrücktem Gesicht. Der Hund schien nur drei Beschäftigungen zu kennen: bellen, schnarchen und Menschen beißen, die ihn streicheln wollten. Als das Mädchen wieder verschwunden war, kam Taku zu mir und legte sich hinter mich. Das gehörte zu seinen kleinen Tricks: Er legte sich gern dorthin, wo ich versehentlich auf ihn treten mußte, damit er mich beißen konnte. Allmählich kam ich mir vor wie eine in einer Schiebetür eingklemmte Maus: vor mir Mutter, hinter mir Taku. Dann aber legte Mutter den Hörer auf und starrte mich mit ihren gelben Augen an.
    »Jetzt hör mir mal gut zu, Kleine. Vielleicht hast du gehört, daß Hatsumomo gelogen hat. Aber nur, weil sie damit durchkommt, heißt das noch lange nicht, daß du das auch kannst. Ich will es genau wissen: Warum hat sie dich geschlagen?«
    »Sie wollte, daß ich ihr Zimmer verlasse, Mutter«, antwortete ich. »Es tut mir sehr leid.«
    Mutter ließ mich das Ganze im feinen Kyoto-Akzent wiederholen, was mir wirklich schwerfiel. Als ich es endlich zu ihrer Zufriedenheit ausgesprochen hatte, fuhr sie fort:
    »Ich glaube, du hast nicht begriffen, was deine Aufgabe hier in der Okiya ist. Wir denken alle nur an eins: Wie wir Hatsumomo helfen können, als Geisha möglichst erfolgreich zu sein. Sogar Großmama. Du hältst sie vielleicht für eine schwierige alte Frau, aber in Wirklichkeit überlegt sie den lieben langen Tag, wie wir Hatsumomo helfen können.«
    Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wovon Mutter sprach. Ehrlich, sie hätte nicht mal einem dreckigen Lappen einreden könne, daß Großmama irgend jemandem behilflich war.
    »Wenn jemand, der so alt ist wie Großmama, sich schon den ganzen Tag abmüht, daran zu arbeiten, Hatsumomo die Arbeit zu erleichtern, dann überleg mal, wieviel größer dein Beitrag sein sollte.«
    »Ja, Mutter. Ich werde weiterhin sehr hart arbeiten.«
    »Ich will nicht mehr hören, daß du Hatsumomo verärgert hast. Wenn es das andere Mädchen schafft, ihr aus dem Weg zu gehen, wirst du das wohl ebenfalls fertigbringen.«
    »Ja, Mutter… Aber bevor ich gehe, darf ich eine Frage stellen. Ich wüßte gern, ob irgend jemand hier die Adresse meiner Schwester kennt. Ich hatte nämlich gehofft, ihr eine Nachricht schicken zu können.«
    Mutter hatte einen komischen Mund, der viel zu groß war für ihr Gesicht und fast immer offenstand; jetzt aber tat sie etwas damit, was ich bei ihr noch nie gesehen hatte: Sie biß die Zähne zusammen und bleckte sie so, als wollte sie, daß ich sie mir gut ansehe. Das war ihre Art zu lächeln – obwohl mir das erst klarwurde, als sie dieses hustende Geräusch ausstieß, das sie beim Lachen machte.
    »Warum in aller Welt sollte ich dir das sagen?« fragte sie mich.
    Dann hustete oder lachte sie noch ein paarmal, bevor sie mir mit einem Wink bedeutete, ich solle das Zimmer verlassen.
    Als ich hinaustrat, wartete Tantchen im oberen Flur, um mir eine Arbeit aufzutragen. Sie gab mir einen Eimer und schickte mich eine Leiter hinauf und durch eine Falltür bis aufs Dach. Dort stand auf Holzstützen ein Tank, der das Regenwasser auffing. Das Regenwasser lief aufgrund der Schwerkraft in die kleine Toilette neben Mutters Zimmer im ersten Stock hinab, denn

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