Die Geisha - Memoirs of a Geisha
ihn aufzuheben. Da es Tantchens Aufgabe war, sich um die Kleider in der Okiya zu kümmern, hätte sie den Kimono inzwischen abholen müssen, aber aus irgendeinem Grund hatte sie das noch nicht getan. Gerade als ich den Ständer wieder aufrichtete, wurde auf einmal die Tür aufgeschoben, und als ich mich umwandte, stand Hatsumomo in der Öffnung.
»Ach, du bist es«, sagte sie. »Ich dachte, ich hätte eine Maus gehört oder so. Wie ich sehe, hast du mein Zimmer aufgeräumt! Bist du das, die immer meine Schminktöpfe durcheinanderbringt? Warum kannst du sie nicht ordentlich hinstellen?«
»Es tut mir sehr leid«, sagte ich demütig. »Ich nehme sie nur auf, um darunter Staub zu wischen.«
»Aber wenn du sie anfaßt, werden sie bald nach dir riechen«, behauptete sie. »Und dann werden die Männer mich fragen: ›Hatsumomo-san, warum riechst du wie ein ungebildetes Mädchen aus einem Fischerdorf?‹ Das verstehst du doch sicher, nicht wahr? Aber um sicherzugehen, möchte ich es noch einmal von dir hören. Warum will ich nicht, daß du meine Schminktöpfe anfaßt?«
Ich brachte den Satz kaum heraus, aber schließlich antwortete ich ihr: »Weil sie sonst bald so riechen wie ich.«
»Das war sehr gut! Und was werden die Männer sagen?«
»Sie werden sagen: ›O Hatsumomo-san, du riechst genau wie ein Mädchen aus einem Fischerdorf.‹«
»Hmm… Irgend etwas an dem Ton, in dem du das gesagt hast, gefällt mir gar nicht. Aber lassen wir’s gut sein. Ich kann einfach nicht verstehen, warum Mädchen aus Fischerdörfern so stinken. Neulich war deine häßliche Schwester hier, um dich zu besuchen, und die hat fast genauso schlimm gestunken wie du.«
Bis dahin hatte ich den Blick zu Boden gerichtet, doch als ich diese Worte hörte, sah ich Hatsumomo direkt ins Gesicht, um festzustellen, ob sie die Wahrheit sagte.
»Bist du etwa überrascht?« fragte sie mich. »Hat dir denn niemand gesagt, daß sie hier war? Sie wollte, daß ich dir eine Nachricht von ihr gebe. Ihre Adresse. Vermutlich möchte sie, daß du zu ihr gehst, damit ihr beide zusammen weglaufen könnt.«
»Hatsumomo-san…«
»Ich soll dir sagen, wo sie wohnt? Also, diese Information mußt du dir erst verdienen. Sobald ich mir überlegt habe, wie, werde ich’s dir sagen. Und jetzt verschwinde.«
Ich wagte nicht, mich zu widersetzen, aber kurz bevor ich das Zimmer verließ, hielt ich noch einmal inne, weil ich dachte, ich könne sie vielleicht doch noch überreden.
»Hatsumomo-san, ich weiß, Sie mögen mich nicht«, begann ich. »Aber wenn Sie so freundlich wären, mir zu sagen, was ich wissen möchte, verspreche ich, Sie nie wieder zu belästigen.«
Als Hatsumomo das hörte, sah es aus, als wäre sie erfreut, denn sie kam mit einem glücklichen Strahlen auf dem Gesicht auf mich zu. Ehrlich gesagt, ich hatte noch nie eine so hinreißende Frau gesehen. Manchmal blieben die Männer auf der Straße stehen oder nahmen die Zigarette aus dem Mund, um sie anzustarren. Ich dachte, sie wolle mir etwas ins Ohr flüstern, aber nachdem sie einen Moment lächelnd vor mir stehengeblieben war, holte sie aus und versetzte mir eine kräftige Ohrfeige.
»Ich hatte dir doch befohlen, mein Zimmer zu verlassen – oder?« schalt sie.
Ich war zu verdutzt, um zu wissen, wie ich reagieren sollte. Aber ich muß hinausgestolpert sein, denn als ich wieder zur Besinnung kam, saß ich im Flur auf dem Holzboden und hielt mir die Wange. Gleich darauf wurde Mutters Tür aufgeschoben.
»Hatsumomo!« sagte Mutter und kam heraus, um mir aufzuhelfen. »Was hast du mit Chiyo gemacht?«
»Sie will weglaufen, hat sie gesagt, Mutter. Und ich dachte, es wäre am besten, wenn ich sie für Sie schlage. Ich dachte, Sie wären vermutlich zu beschäftigt, um es selbst zu tun.«
Mutter rief eine Dienerin und ließ sich ein paar Scheiben frischen Ingwer bringen. Dann führte sie mich in ihr Zimmer setzte mich an den Tisch, während sie ein Telefongespräch beendete. Das einzige Telefon in der Okiya, mit dem man Gespräche außerhalb von Gion führen konnte, hing an der Wand in Mutters Zimmer. Niemand außer ihr durfte es benutzen. Der schwere schwarze Hörer lag auf dem Bord; als Mutter ihn ans Ohr hob, umklammerte sie ihn mit ihren dicken Fingern so fest, daß ich fast dachte, gleich müsse Flüssigkeit auf die Matten tropfen.
»Entschuldigen Sie«, sprach sie mit ihrer heiseren Stimme ins Telefon. »Hatsumomo hat wieder die Dienstboten geohrfeigt.«
Während der ersten Wochen in der Okiya
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