Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Fenster öffnen müssen!«
»Es tut mir leid, Großmama. Ich wußte nicht, daß es Ihnen zu heiß ist.«
»Sehe ich etwa nicht erhitzt aus?«
Sie aß gerade Reis, und mehrere Körner davon klebten an ihrer Unterlippe. Ich fand, daß sie eher gemein als erhitzt aussah, ging aber sofort zum Fenster und öffnete es. Als ich das tat, kam eine Fliege herein und summte um Großmamas Essen herum.
»Was ist mit dir los?« fragte sie und versuchte die Fliege mit ihren Eßstäbchen zu vertreiben. »Die anderen Mädchen lassen keine Fliegen herein, wenn sie das Fenster öffnen!«
Ich entschuldigte mich und erklärte, ich würde die Fliegenklatsche holen.
»Damit du die Fliege in mein Essen klatschst? O nein, das wirst du nicht tun! Du wirst hier stehenbleiben, während ich esse, und dafür sorgen, daß sie mir nicht näher kommt.«
Also mußte ich stehenbleiben, während Großmama ihr Mittagessen beendete, und mir anhören, was sie über den großen Kabuki-Schauspieler Ichimura Uzaemon XIV. erzählte, der auf einem Mondbetrachtungsfest ihre Hand gehalten hatte, als sie erst vierzehn war. Als sie mich dann endlich entließ, war Mutters Tee so kalt geworden, daß ich ihn ihr nicht bringen konnte. Sowohl die Köchin als auch Mutter waren sehr zornig auf mich.
In Wirklichkeit war es so, daß Großmama nicht gern allein war. Selbst wenn sie die Toilette benutzen mußte, zwang sie Tantchen, vor der Tür stehenzubleiben und ihre Hände festzuhalten, damit sie beim Hocken nicht das Gleichgewicht verlor. Der Gestank war so übel, daß das arme Tantchen sich fast den Hals verrenkte, um den Kopf so weit wie nur irgend möglich wegzudrehen. Meine Pflichten waren zwar nicht ganz so schlimm, doch immer wieder rief Großmama mich zu sich, damit ich sie massierte, während sie sich mit einem winzigen Silberkratzer die Ohren reinigte, und die Aufgabe, sie zu massieren, war weitaus übler, als Sie sich vielleicht vorstellen. Denn als sie das erstemal ihr Gewand öffnete und über die Schultern herabstreifte, mußte ich mich fast übergeben, denn die Haut dort und an ihrem Hals war knotig und gelblich wie bei einem ungekochten Huhn. Das Problem kam, wie ich später erfuhr, daher, daß sie in ihrer Geishazeit weiße Schminke von einer Sorte benutzt hatte, die wir »China Clay« nennen und die als Grundstoff Blei enthält. China Clay erwies sich dann als giftig, was wohl zum Teil an Großmamas ständiger Gereiztheit schuld war. Dazu kam, daß sie als junge Frau häufig die heißen Quellen nördlich von Kyoto aufsuchte. Dagegen hätte nichts gesprochen, wenn die bleiverseuchte Schminke nicht so schwer zu entfernen gewesen wäre: So aber gingen die Reste ihres Make-ups und irgendeine Chemikalie im Wasser eine Verbindung ein, die ihre Haut ruinierte. Großmama war nicht die einzige mit diesem Problem. Sogar noch Anfang des Zweiten Weltkriegs konnte man auf den Straßen von Gion alte Frauen mit schlaff herabhängendem, gelblichem Hals sehen.
Nach ungefähr drei Wochen in der Okiya ging ich einmal später als üblich nach oben, um Hatsumomos Zimmer aufzuräumen. Ich hatte schreckliche Angst vor ihr, obwohl ich sie, weil sie ständig beschäftigt war, nur selten sah. Ich fürchtete mich vor dem, was geschehen würde, wenn sie mir allein begegnete. Deswegen war ich ständig bemüht, ihr Zimmer sofort dann zu putzen, wenn sie die Okiya verließ, um zu ihrem Tanzunterricht zu gehen. Unglücklicherweise hielt mich Großmama an jenem Morgen fast bis zur Mittagszeit auf Trab.
Hatsumomos Zimmer war das größte in der Okiya, größer als unser beschwipstes Haus. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum sie ein größeres Zimmer brauchte als alle anderen, bis mir eine der älteren Dienerinnen erklärte, daß Hatsumomo jetzt zwar die einzige Geisha in der Okiya sei, es aber früher drei bis vier von ihnen gewesen waren, die alle zusammen in jenem Zimmer geschlafen hätten. Hatsumomo mochte allein wohnen, aber sie machte wahrhaftig Unordnung für vier. Als ich an jenem Tag ihr Zimmer betrat, fand ich – außer den wie üblich überall verstreuten Zeitschriften und den Pinseln auf den Matten neben ihrem winzigen Schminktisch – ein Apfelkernhaus und eine leere Whiskeyflasche unter dem Tisch. Das Fenster stand offen, und der Wind schien den Holzständer umgeworfen zu haben, auf den sie in der Nacht zuvor ihren Kimono gehängt hatte – aber vielleicht hatte sie ihn auch selbst umgestoßen, bevor sie betrunken zu Bett ging, und sich nicht die Mühe gemacht,
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