Die Geisha - Memoirs of a Geisha
damals hatten wir noch keinerlei sanitäre Installationen, nicht einmal in der Küche. Es war in der letzten Zeit sehr trocken gewesen, deswegen hatte es in der Toilette zu stinken begonnen. Meine Aufgabe war es nun, Wasser in den Tank zu füllen, damit Tantchen die Toilette ein paarmal durchspülen und säubern konnte.
Die Dachziegel waren in der Mittagssonne so heiß wie Bratpfannen, und während ich den Eimer leerte, dachte ich unwillkürlich an das frische, kalte Wasser in dem Teich bei unserem Dorf am Meer. Noch wenige Wochen zuvor hatte ich in diesem Teich gebadet, aber jetzt, hier auf dem Dach der Okiya, schien mir das alles unendlich weit zurückzuliegen. Tantchen befahl mir laut rufend von unten, das Unkraut zwischen den Dachziegeln auszuzupfen, bevor ich wieder herunterstieg. Ich blickte hinaus auf die dunstige Hitze, die über der Stadt lastete, und auf die Hügel, die uns umgaben wie Gefängnismauern. Irgendwo unter einem dieser Dächer verrichtete meine Schwester vermutlich ganz ähnliche Aufgaben wie ich. Während ich an sie dachte, stieß ich versehentlich an den Tank, so daß etwas Wasser auf die Straße hinunterschwappte.
Ungefähr einen Monat nach meiner Ankunft in der Okiya erklärte mir Mutter, die Zeit sei gekommen, um mit meiner Ausbildung zu beginnen. Also sollte ich Kürbisköpfchen am folgenden Morgen begleiten, um meinen Lehrerinnen vorgestellt zu werden. Später würde mich Hatsumomo zu einem sogenannten »Registerbüro« bringen, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, und am Spätnachmittag sollte ich ihr dann zusehen, wie sie ihr Make-up auflegte und sich in ihren Kimono kleidete. Es war eine Tradition in der Okiya, daß ein kleines Mädchen an dem Tag, wo es mit der Ausbildung begann, der ältesten Geisha zusah.
Als Kürbisköpfchen hörte, daß sie mich am folgenden Morgen in die Schule mitnehmen sollte, wurde sie sehr nervös.
»Du mußt dich sofort, wenn du aufwachst, zum Gehen fertig machen«, erklärte sie mir. »Wenn wir zu spät kommen, können wir uns auch gleich im Abwasserkanal ertränken…«
Ich hatte gesehen, daß Kürbisköpfchen die Okiya jeden Morgen so früh verließ, daß ihre Augen noch schlafverkrustet waren, und häufig schien sie kurz davor, in Tränen auszubrechen. Tatsächlich dachte ich zuweilen, wenn sie in ihren Holzschuhen am Küchenfenster vorbeiklapperte, daß ich sie weinen hörte. Der Unterricht schien ihr nicht zuzusagen – ganz und gar nicht. Sie war fast ein halbes Jahr vor mir in die Okiya gekommen, hatte aber erst etwa eine Woche nach meiner Ankunft begonnen, die Schule zu besuchen. Wenn sie gegen Mittag wiederkam, versteckte sie sich meistens ganz schnell im Dienstbotenquartier, damit niemand sie zu sehen bekam, solange sie noch so verstört war.
Am folgenden Morgen erwachte ich zeitiger als sonst und kleidete mich zum erstenmal in das blau-weiße Gewand der Schülerinnen. Es war nicht viel mehr als ein ungefütterter Baumwollkittel mit einem kindlichen Muster aus Quadraten. Bestimmt wirkte ich darin nicht eleganter als ein Gast im hoteleigenen Mantel auf dem Weg ins Bad. Ich aber hatte noch nie etwas auch nur annähernd so Schönes am Körper getragen.
Kürbisköpfchen wartete mit besorgter Miene am Eingang auf mich. Gerade wollte ich die Füße in meine Schuhe stecken, da rief mich Großmama zu sich ins Zimmer.
»Nein!« stöhnte Kürbisköpfchen vor sich hin, und ihr Gesicht sackte zusammen wie schmelzendes Wachs. »Jetzt komme ich schon wieder zu spät! Können wir nicht einfach so tun, als hätten wir nichts gehört?«
Das hätte ich nur allzugern getan, aber schon hatte Großmama ihr Zimmer verlassen und sah mich durch die Eingangshalle drohend an. Wie sich herausstellte, nahm sie mich nicht mehr als zehn bis fünfzehn Minuten in Anspruch, aber bis dahin standen Kürbisköpfchens Augen voll Tränen. Als wir uns schließlich auf den Weg machten, begann Kürbisköpfchen so schnell auszuschreiten, daß ich kaum mit ihr Schritt halten konnte.
»Diese Alte, sie ist so grausam!« sagte sie. »Sieh zu, daß du deine Hände in eine Schale Salz steckst, nachdem du ihr den Hals massiert hast.«
»Warum?«
»Meine Mutter hat immer gesagt: ›Das Böse verbreitet sich durch Berührung.‹ Und ich weiß genau, daß das stimmt, denn meine Mutter hat eines Tages einen Dämon gestreift, dem sie auf der Straße begegnet ist, und deswegen mußte sie sterben. Wenn du deine Hände nicht reinigen kannst, wirst du dich, genau wie Großmama, in eine
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