Die Geisha - Memoirs of a Geisha
kein einziges Wort. Wir beiden bleiben solange hier unten stehen und behalten dich im Auge.«
Damit drückte sie mir den eingewickelten Kimono in die Hand, während Korin die Tür aufschob. Polierte Holzstufen führten in die Dunkelheit hinauf. Vor lauter Angst zitterte ich so stark, daß ich auf halber Höhe stehenbleiben mußte. Dann hörte ich Korin zu mir heraufzischen:
»Nur weiter, Kleine! Niemand wird dich fressen, es sei denn, du kommst mit dem Kimono wieder herunter! Dann werden wir’s mit Sicherheit tun. Stimmt’s Hatsumomo-san?«
Hatsumomo stieß einen Seufzer aus, antwortete aber nicht. Korin spähte in die Dunkelheit empor und versuchte mich auszumachen, doch Hatsumomo, die Korin knapp bis zur Schulter reichte, kaute auf ihren Fingernägeln und achtete nicht auf mich. Trotz meiner Angst fiel mir auf, wie wunderschön Hatsumomo war. Sie mag so grausam wie eine Spinne gewesen sein, aber sie war jetzt, da sie an ihren Fingernägeln nagte, immer noch schöner als die meisten Geishas, wenn sie für ein Foto posierten. Und neben ihrer Freundin Korin sah sie aus wie ein Edelstein neben einem Felsbrocken. Korin schien sich mit ihrer kunstvollen Frisur und all dem schönen Schmuck darin nicht wohl zu fühlen, und der Kimono war ihr ständig im Weg, während Hatsumomo ihren Kimono trug, als wäre er eine zweite Haut.
Am Kopfende der Treppe kniete ich in der Finsternis nieder und rief laut:
»Entschuldigen Sie bitte!«
Ich wartete, doch nichts geschah. »Lauter!« befahl Korin. »Du wirst schließlich nicht erwartet.«
Also rief ich abermals: »Entschuldigen Sie!«
»Einen Moment!« hörte ich eine gedämpfte Stimme sagen, und gleich darauf wurde die Tür aufgeschoben. Das Mädchen, das auf der anderen Seite kniete, war kaum älter als Satsu, aber so mager und nervös wie ein Vögelchen. Ich überreichte ihr den Kimono in seiner Verpackung. Sie war höchst überrascht und riß ihn mir wie verzweifelt aus den Händen.
»Wer ist da, Asami-san?« rief eine Stimme aus der Wohnung. Ich konnte sehen, daß neben einem frisch zurechtgemachten Futon eine einzelne Papierlaterne auf einem antiken Ständer brannte. Der Futon war für die Geisha Mameha bestimmt; das erkannte ich, weil die frischen Laken und die elegante Seidendecke sowie das takamakura – das »hohe Kissen«– genauso aussahen wie Hatsumomos. Es war eigentlich gar kein Kissen, sondern ein Holzständer mit einer gepolsterten Halsstütze – nur so kann eine Geisha schlafen, ohne sich ihre komplizierte Frisur zu ruinieren.
Die Dienerin antwortete nicht, sondern schlug das Papier, in das der Kimono eingewickelt war, so lautlos wie möglich auseinander; dann wendete sie ihn hin und her, damit sie ihn im Licht betrachten konnte. Als sie die Schmierereien sah, keuchte sie erschrocken auf und hielt sich die Hand vor den Mund. Tränen rannen ihr über die Wangen. Dann rief eine Stimme:
»Asami-san! Wer ist da?«
»Ach, niemand, Herrin!« rief die Dienerin. Als sie sich die Augen rasch an ihrem Ärmel trocknete, tat sie mir unendlich leid. Während sie den Arm hob, um die Tür zu schließen, erhaschte ich einen kurzen Blick auf ihre Herrin. Und erkannte sofort, warum Hatsumomo Mameha »Fräulein Perfekt« nannte. Ihr Gesicht war ein perfektes Oval, genau wie bei einer Puppe; es wirkte so glatt und zart wie kostbares Porzellan, und das sogar ganz ohne Make-up. Sie kam auf den Eingang zu und versuchte ins Treppenhaus hinabzuspähen, aber die Dienerin schob schnell die Tür wieder zu.
Als ich am folgenden Morgen nach der Schule in die Okiya zurückkehrte, hatten sich Mutter, Großmama und Tantchen im Empfangszimmer im Erdgeschoß versammelt. Ich war fest davon überzeugt, daß sie über den Kimono diskutierten. Und tatsächlich – kaum war Hatsumomo von der Straße hereingekommen, lief eine der Dienerinnen zu Mutter, um es ihr zu melden. Sofort kam Mutter in die Eingangshalle heraus, um Hatsumomo zu stellen, bevor sie die Treppe hinaufsteigen konnte.
»Wir haben heute vormittag Besuch gehabt. Mameha war mit ihrer Dienerin hier«, sagte sie.
»Hallo, Mutter! Ich weiß genau, was Sie jetzt sagen wollen. Es tut mir furchtbar leid um den Kimono. Ich wollte Chiyo zurückhalten, als sie ihn mit Tusche beschmierte, aber es war zu spät. Sie muß gedacht haben, es wäre meiner! Ich weiß nicht, warum sie mich vom ersten Moment an derart gehaßt hat… Einen so kostbaren Kimono zu zerstören, bloß um mich zu verletzen!«
Mittlerweile war auch Tantchen auf den
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