Die Geisha - Memoirs of a Geisha
zuweilen hörte. Die Dienerinnen wußten alle, was Hatsumomo tat, und daß niemand von uns damit zu Mutter, Tantchen oder Großmama ging, beweist deutlich, wie groß ihre Macht über uns war. Einen Freund zu haben – und ihn dann noch in die Okiya mitzunehmen – hätte sich bestimmt höchst nachteilig für Hatsumomo ausgewirkt. Denn in der Zeit, die sie mit ihm verbrachte, verdiente sie kein Geld, und seinetwegen verließ sie Partys und Teehäuser, in denen sie sonst gut verdient hätte. Außerdem würde jeder wohlhabende Mann, der an einer teuren Langzeitverbindung interessiert war, mit Sicherheit weniger von ihr halten und es sich womöglich sogar anders überlegen, wenn er erfuhr, daß sie sich mit dem Koch eines Nudelrestaurants eingelassen hatte.
Eines Abends, als ich gerade vom Brunnen im Innenhof zurückkehrte, wo ich mir einen Schluck Wasser geholt hatte, hörte ich, wie die Außentür aufgeschoben und mit lautem Geräusch gegen den Rahmen geknallt wurde.
»Also wirklich, Hatsumomo«, sagte eine tiefe Stimme, »du wirst noch alle im Haus aufwecken…«
Ich konnte nie so recht verstehen, warum Hatsumomo das Risiko einging, ihren Freund in die Okiya mitzubringen – vermutlich reizte sie gerade das Risiko. Aber noch nie war sie so achtlos gewesen, viel Lärm dabei zu machen. Hastig kniete ich mich nieder, und gleich darauf erschien Hatsumomo mit zwei in Leinenpapier gewickelten Päckchen in unserer Eingangshalle. Hinter ihr kam eine andere Geisha, die sich bücken mußte, um durch die niedrige Tür gehen zu können. Als sie sich aufrichtete und zu mir hinunterblickte, wirkten ihre Lippen unnatürlich groß und schwer in ihrem langen Gesicht. Beim besten Willen hätte niemand sie als hübsch bezeichnen können.
»Das ist unser dummes jüngstes Dienstmädchen«, erklärte Hatsumomo. »Sie hat einen Namen, glaube ich, aber nenn’ sie einfach ›kleines Fräulein Dummkopf‹.«
»Nun, kleines Fräulein Dummkopf«, sagte die andere Geisha, »dann lauf mal los und bring deiner großen Schwester und mir was zu trinken!« Die tiefe Stimme gehörte ihr und war also doch nicht die von Hatsumomos Freund gewesen.
Hatsumomo trank gewöhnlich eine ganz besondere Sorte Sake namens amakuchi, die sehr leicht und süß ist. Da amakuchi aber nur im Winter gebraut wurde, schienen wir keinen mehr zu haben. Statt dessen füllte ich zwei Gläser mit Bier und trug sie hinaus. Hatsumomo und ihre Freundin waren bereits zum Innenhof gegangen und standen in Holzschuhen im Freien. Mir fiel auf, daß sie stark betrunken waren, und da Hatsumomos Freundin für die kleinen Holzschuhe viel zu große Füße hatte, konnte sie kaum einen Schritt tun, ohne daß die beiden in lautes Lachen ausbrachen. Vielleicht erinnern Sie sich, daß außen am Haus ein hölzerner Verandagang entlangführte. Auf diesen Verandagang hatte Hatsumomo ihre Päckchen gelegt und wollte soeben eins öffnen, als ich den beiden das Bier brachte.
»Auf Bier hab’ ich jetzt keine Lust«, sagte sie und bückte sich, um beide Gläser zwischen die Fundamentsteine zu leeren.
»Ich hab’ aber Lust auf Bier«, protestierte ihre Freundin, doch es war schon zu spät. »Warum hast du meins auch ausgegossen?«
»Ach, sei still, Korin!« sagte Hatsumomo. »Du solltest ohnehin nichts mehr trinken. Sieh dir lieber das hier an. Du wirst dich totlachen!« Damit löste Hatsumomo die Bänder, mit denen das Leinenpapier verschnürt war, und breitete auf der Holzveranda einen kostbaren Kimono in verschiedenen zarten Grünschattierungen und mit einem Muster aus Weinranken und roten Blättern aus. Es war ein ganz außergewöhnlich schöner Seidenbatist – allerdings sommerlich leicht und keineswegs für das herrschende Herbstwetter geeignet. Korin, Hatsumomos Freundin, bewunderte ihn so sehr, daß sie hörbar aufseufzte und sich an ihrem eigenen Speichel verschluckte – woraufhin die beiden wieder laut herauslachten. Ich fand, daß es allmählich Zeit wurde, mich zu entfernen, doch Hatsumomo sagte zu mir:
»Bleib noch, kleines Fräulein Dummkopf.« Dann wandte sie sich wieder ihrer Freundin zu und sagte: »Jetzt machen wir uns einen Spaß, Korin-san. Rate mal, wessen Kimono das ist?«
Korin hustete noch immer sehr stark, doch als sie wieder sprechen konnte, sagte sie: »Ich wünschte, es wäre meiner.«
»Ist er aber nicht. Er gehört keiner anderen als der Geisha, die wir beide am meisten hassen.«
»Ach, Hatsumomo… du bist genial! Aber wie kommst du an Satokas
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