Die Geisha - Memoirs of a Geisha
nebenan eine junge Dienerin geflohen, die schon am nächsten Morgen zurückgebracht wurde. Das arme Mädchen wurde während der folgenden Tage so furchtbar geschlagen, daß ihr Wehgeschrei kaum zu ertragen war. Manchmal mußte ich mir die Finger in die Ohren stecken, um es nicht mit anhören zu müssen.
Ich sah ein, daß mir nichts anderes übrigblieb, als zu warten, bis die fünfzig Tage verstrichen waren. Währenddessen konzentrierte ich mich darauf, mir Möglichkeiten auszudenken, wie ich Hatsumomo und Großmama ihre Grausamkeit heimzahlen konnte. An Hatsumomo rächte ich mich, indem ich den Taubendreck, den ich von den Trittsteinen im Innenhof entfernen sollte, abkratzte und ihn unter ihre Gesichtscreme mischte. Da die Creme, wie ich schon sagte, bereits einen Teil Nachtigallendreck enthielt, schadete ihr das vermutlich nicht sehr, doch es erfüllte mich mit Genugtuung. An Großmama rächte ich mich, indem ich den Toilettenlappen an der Innenseite ihres Nachtkleides abwischte, und war entzückt, als ich sah, wie sie verwundert daran schnupperte, obwohl sie es nicht auszog. Bald schon entdeckte ich, daß die Köchin beschlossen hatte, mich unaufgefordert ebenfalls für den Kimono-Zwischenfall zu bestrafen, indem sie meine Fischration verringerte. Wie ich ihr das heimzahlen konnte, wußte ich nicht, bis ich eines Tages sah, daß sie mit dem Holzhammer eine Maus durch den Hofkorridor verfolgte. Wie sich herausstellte, haßte sie Mäuse noch mehr, als es die Katzen taten. Also holte ich Mäusedreck unter den Fundamentsteinen des Haupthauses hervor und verstreute ihn überall in der Küche. Ja, eines Tages bohrte ich mit einem Eßstäbchen sogar ein Loch in einen Leinwandsack voll Reis, damit sie sämtliche Schränke ausräumen und nach Zeichen von Nagetieren durchsuchen mußte.
Eines Abends, als ich noch auf war und auf Hatsumomo wartete, hörte ich das Telefon klingeln. Gleich darauf erschien Yoko und stieg die Treppe hinauf. Als sie wieder herunterkam, hielt sie Hatsumomos Shamisen, zerlegt und in seinem Lackkasten verpackt, in der Hand.
»Das hier sollst du zum Mizuki-Teehaus bringen«, erklärte sie mir. »Hatsumomo hat eine Wette verloren und muß auf dem Shamisen ein Lied spielen. Ich weiß zwar nicht, was in sie gefahren ist, aber sie weigert sich, das Shamisen zu benutzen, das ihr das Teehaus angeboten hat. Ich glaube, sie will nur Zeit schinden, denn sie hat seit Jahren kein Shamisen mehr in der Hand gehabt.«
Yoko wußte anscheinend nicht, daß ich Hausarrest hatte, und das war eigentlich nicht verwunderlich. Für den Fall, daß sie einen wichtigen Anruf verpaßte, durfte sie das Dienstbotenzimmer nur sehr selten verlassen und wurde in keiner Weise ins Leben der Okiya einbezogen. Ich nahm das Shamisen entgegen, während sie ihren Kimonomantel überzog, um nach Hause zu gehen. Nachdem sie mir erklärt hatte, wie ich zum Mizuki-Teehaus kam, schlüpfte ich, zitternd vor Nervosität, daß mich jemand aufhalten könnte, am Eingang in meine Schuhe. Die Dienerinnen und Kürbisköpfchen, ja sogar die drei älteren Frauen schliefen längst, und Yoko würde innerhalb weniger Minuten das Haus verlassen. Dies schien mir plötzlich die Chance zu sein, endlich meine Schwester zu suchen.
Über mir hörte ich Donner grollen, und die Luft roch nach Regen. Also hastete ich an Gruppen von Männern und Geishas vorbei durch die Straßen. Einige Passanten warfen mir seltsame Blicke zu, denn zu jener Zeit gab es in Gion noch Männer und Frauen, die sich ihr Geld als Shamisen-Träger verdienten. Allerdings handelte es sich dabei um ältere Menschen, keine Kinder. Es hätte mich nicht gewundert, wenn einige der Leute, an denen ich vorbeikam, argwöhnten, ich hätte das Shamisen gestohlen und laufe nun mit ihm davon.
Als ich das Mizuki-Teehaus erreicht hatte, begann es zu regnen, doch der Eingang war so elegant, daß ich ihn nicht zu betreten wagte. Die Wände hinter dem kleinen Vorhang in der Türöffnung waren von einem weichen Orangerot und mit dunklem Holz geschmückt. Ein Pfad aus polierten Steinen führte zu einer riesigen Vase, in der knorrige Ahornzweige mit ihren leuchtendroten Herbstblättern arrangiert waren. Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen und durchschritt den Vorhang. Neben der Vase zweigte ein breiter Gang mit einem Boden aus grob poliertem Granit ab. Ich erinnere mich noch daran, wie überrascht ich war, daß all diese Schönheit, die ich sah, nicht mal der Eingang zum Teehaus selbst war, sondern
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