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Die Geisha - Memoirs of a Geisha

Titel: Die Geisha - Memoirs of a Geisha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Golden
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zwei Generationen von Kindern heranwachsen zu sehen, und weiß, wie selten es ist, daß ein unscheinbarer Vogel einem Schwan das Leben schenkt. Der Schwan, der auf dem Baum seiner Eltern bleibt, wird sterben; deshalb müssen jene, die schön und begabt sind, die Bürde auf sich nehmen und ihren eigenen Weg suchen.
    Ende letzten Herbstes kam Deine Schwester Satsu durch Yoroido, lief aber sofort mit Herrn Sugis Sohn auf und davon. Herr Sugi hofft inständig, seinen geliebten Sohn zu seinen Lebzeiten noch einmal wiederzusehen, und bittet Dich daher, ihn sofort zu informieren, wenn Du etwas von Deiner Schwester hörst.
    Mit aufrichtiger Hochachtung
    Tanaka Ichiro
    Lange bevor Tantchen den Brief fertiggelesen hatte, quollen mir schon die Tränen aus den Augen wie das Wasser aus einem überkochenden Topf. Es ist schlimm genug zu erfahren, daß Mutter oder Vater gestorben sind, aber in einem einzigen Moment zu hören, daß beide Eltern gestorben waren und mich verlassen hatten und auch meine Schwester auf immer für mich verloren war… Plötzlich glich mein Verstand einer zerbrochenen Vase, die nicht mehr aufrecht stehen konnte. Und ich war selbst in dem engen Raum um mich herum verloren.
    Sie müssen mich für sehr naiv halten, weil ich die Hoffnung, daß meine Mutter noch lebte, so viele Monate genährt hatte. Aber für mich gab es so wenig, worauf ich hoffen konnte, daß ich vermutlich bereitwillig nach dem kleinsten Strohhalm gegriffen hätte. Während ich versuchte, mich wieder zurechtzufinden, war Tantchen wirklich sehr freundlich zu mir. Immer wieder sagte sie zu mir: »Kopf hoch, Chiyo, Kopf hoch! Es gibt nichts, was wir jetzt noch ändern könnten.«
    Als ich schließlich wieder sprechen konnte, fragte ich Tantchen, ob sie die Tafeln irgendwo aufstellen könne, wo ich sie nicht zu sehen brauchte, und ob sie wohl auch an meiner Stelle beten würde, denn das sei viel zu schmerzlich für mich. Das verweigerte sie mir jedoch. Ich solle mich schämen, auch nur daran zu denken, meinen eigenen Vorfahren den Rücken zu kehren. Sie half mir, die Tafeln auf einem Wandbrett unten an der Treppe aufzustellen, wo ich jeden Morgen vor ihnen beten konnte. »Vergiß sie niemals, Chiyo-chan«, sagte sie, »denn sie sind alles, was dir von deiner Kindheit geblieben ist.«

9. KAPITEL
    Etwa zur Zeit meines fünfundsechzigsten Geburtstags sandte mir eine Freundin einen Zeitungsartikel, den sie irgendwo gefunden hatte. Die Überschrift lautete: »Die zwanzig größten Geishas im Gion der Vergangenheit«. Mag sein, daß es auch die dreißig größten Geishas waren, ich kann mich nicht genau erinnern. Aber da stand ich auf der Liste, dazu ein paar Sätze, die Informationen über mich enthielten, unter anderem, daß ich in Kyoto geboren sei, was natürlich nicht stimmt. Außerdem kann ich Ihnen versichern, daß ich nicht zu den zwanzig größten Geishas von Gion zählte; manchen Leuten fällt es schwer, zwischen Dingen zu unterscheiden, die wirklich groß sind, und anderen, von denen sie nur gehört haben. Wie dem auch sei, ich hätte vermutlich von Glück reden können, wenn ich nichts weiter geworden wäre als eine schlechte und unglückliche Geisha – wie so viele arme Mädchen –, wenn Herr Tanaka mir nicht geschrieben hätte, daß meine Eltern gestorben waren und meine Schwester auf immer für mich verloren war.
    Sicher werden Sie sich erinnern, daß ich gesagt habe, der Nachmittag, an dem ich Herrn Tanaka kennengelernt habe, sei der beste Nachmittag meines Lebens gewesen, aber auch der schlimmste. Warum es der schlimmste war, muß ich Ihnen vermutlich nicht erklären, aber vielleicht fragen Sie sich, wie in aller Welt etwas Gutes daraus entstehen konnte. Gewiß, bis zu jenem Zeitpunkt hatte Herr Tanaka mir nichts als schweres Leid zugefügt, aber er hatte auch meinen Horizont unwiderruflich erweitert. Wir leben unser Leben wie Wasser, das einen Hang hinabfließt, gehen mehr oder weniger in eine Richtung, bis wir plötzlich auf etwas stoßen, das uns zwingt, einen neuen Kurs einzuschlagen. Hätte ich Herrn Tanaka nicht kennengelernt, wäre mein Leben ein schlichter Bach gewesen, der von unserem beschwipsten Haus aus ins Meer fließt. Das hatte Herr Tanaka gründlich verändert, indem er mich in die Welt hinausschickte. Aber in die Welt hinausgeschickt zu werden ist nicht unbedingt dasselbe, wie sein Zuhause zu verlassen. Als mich Herrn Tanakas Brief erreichte, war ich über ein halbes Jahr lang in Gion gewesen, und doch hatte ich

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