Die Geisha - Memoirs of a Geisha
gibt.«
Nun erwartete ich, daß sie mir diese Regeln erläuterte, aber sie runzelte nur die Stirn und sagte:
»Also wirklich, Chiyo, so darfst du nicht in deinen Tee pusten. Du wirkst ja wie ein Bauernmädchen! Laß ihn auf dem Tisch stehen, bis er so weit abgekühlt ist, daß du ihn trinken kannst.«
»Es tut mir leid«, gab ich zurück. »Ich hab’ nicht gemerkt, daß ich das getan habe.«
»Es wird aber Zeit, daß du es merkst. Als Geisha muß man sehr darauf achten, wie man sich der Welt präsentiert. Also, wie ich schon sagte, bei mir gelten sehr strenge Regeln. Zunächst einmal erwarte ich von dir, daß du tust, was ich dir sage, ohne Fragen zu stellen oder meine Anweisungen irgendwie in Zweifel zu ziehen. Wie ich weiß, warst du Hatsumomo und Frau Nitta von Zeit zu Zeit ungehorsam. Möglicherweise findest du das verständlich, doch vielleicht wäre alles, was dir zugestoßen ist, nicht geschehen, wenn du von Anfang an gehorsamer gewesen wärst.«
Mameha hatte recht. Die Welt hat sich seit damals sehr verändert, doch als ich ein Kind war, wurde ein Mädchen, das sich den Erwachsenen widersetzte, sehr schnell in seine Schranken gewiesen.
»Vor ein paar Jahren nahm ich zwei neue jüngere Schwestern auf«, fuhr Mameha fort. »Die eine arbeitete wirklich sehr fleißig, die andere ließ immer mehr nach. Eines Tages nahm ich sie mit hierher und erklärte, ich würde nicht länger dulden, daß sie mich zum Narren mache, dennoch änderte sich nichts. Im darauffolgenden Monat sagte ich ihr, sie solle sich eine andere ältere Schwester suchen.«
»Mameha-san, ich verspreche Ihnen, daß Ihnen mit mir so etwas nicht passieren wird«, sagte ich. »Ihnen ist es zu danken, daß ich mir wie ein Schiff vorkomme, das den ersten Hauch des weiten Ozeans spürt. Wenn ich Sie enttäuschen würde, könnte ich mir das niemals verzeihen.«
»Nun ja, schön und gut, aber ich rede nicht nur davon, daß du dich sehr anstrengen mußt. Du mußt auch sehr gut aufpassen, damit Hatsumomo dich nicht noch einmal reinlegt. Und vermeide um Himmels willen alles, was deine Schulden noch mehr in die Höhe treiben könnte. Nicht einmal eine Teetasse darfst du zerbrechen!«
Ich versprach es ihr, aber ich muß gestehen, wenn ich daran dachte, daß Hatsumomo mich noch einmal reinzulegen versuchte… na ja, ich war nicht sicher, ob ich mich wehren könnte, wenn sie das tat.
»Es gibt da noch etwas«, fuhr Mameha fort. »Was immer wir beide, du und ich, hier besprechen, bleibt unter uns. Niemals darfst du Hatsumomo etwas davon erzählen. Selbst wenn wir nur über das Wetter sprechen. Verstanden? Wenn Hatsumomo dich fragt, was ich zu dir gesagt habe, mußt du antworten: ›Ach Hatsumomo, Mameha-san sagt niemals etwas, was von Interesse wäre! Sobald sie es gesagt hat, hab’ ich’s schon wieder vergessen. Sie ist der langweiligste Mensch, den ich je kennengelernt habe!«
Ich hätte verstanden, versicherte ich Mameha.
»Hatsumomo ist sehr gerissen«, fuhr sie fort. »Wenn du ihr den kleinsten Wink gibst, wirst du dich wundern, wie schnell sie sich alles andere ausrechnet.«
Plötzlich beugte Mameha sich zu mir vor und sagte zornig: »Worüber habt ihr zwei gesprochen, als ich euch gestern zusammen auf der Straße gesehen habe?«
»Über gar nichts, Herrin!« antwortete ich. Ich war so erschrocken, daß ich nichts weiter sagen konnte, obwohl sie mich weiterhin wütend anfunkelte.
»Was soll das heißen –über gar nichts? Du solltest mir lieber antworten, du kleiner Dummkopf, sonst werde ich dir heute nacht, wenn du schläfst, Tusche ins Ohr gießen!«
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, daß Mameha sich an einer Imitation von Hatsumomo versuchte. Ich fürchte, es war keine sehr gute Imitation, aber nachdem ich verstanden hatte, was sie wollte, antwortete ich: »Ehrlich, Hatsumomo-san, Mameha-san spricht immer nur über todlangweilige Sachen mit mir. So langweilig, daß ich mich an nichts erinnern kann. Sie schmelzen dahin wie Schneeflocken. Sind Sie sicher, daß Sie uns gestern gesehen haben? Falls wir wirklich miteinander gesprochen haben, so kann ich mich nicht daran erinnern…«
Mameha machte noch eine Zeitlang weiter mit ihrer unzulänglichen Imitation von Hatsumomo und sagte dann, ich hätte meine Sache recht gut gemacht. Ich selber war nicht ganz so zufrieden wie sie. Von Mameha ausgequetscht zu werden, auch wenn sie versuchte, sich wie Hatsumomo zu verhalten, war etwas ganz anderes, als vor Hatsumomo selbst nicht
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