Die Geister, die mich riefen: Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt (German Edition)
den nächsten Brief vom »Geister«-Stapel nehme:
Ich möchte einfach nur berichten, was sich damals zugetragen hat. Die Geschichte handelt von meinem Opa mütterlicherseits. Er starb an Blutkrebs, als ich im zarten Alter von acht Jahren war. Als ich ihn damals zum letzten Mal sah, wollte er mich noch umarmen, aber ich weigerte mich, zu ihm zu gehen, da mir meine Eltern sagten, er sei schwer krank. Wie es bei Kindern nun mal so ist: Sie haben Angst, sich anzustecken. Alle Erklärungen und Beschwichtigungen meiner Mutter und meiner Oma halfen damals nichts. Ich wollte einfach nicht in seine Arme und mich – das wusste ich damals noch nicht – von meinem todkranken Opa verabschieden.
Ein paar Jahre später, als ich die Krankheit endlich verstand, grämte ich mich und bereute es, dass ich mich nicht von meinem lieben Opa verabschiedet hatte.
Wieder gingen ein paar Jahre ins Land, und mittlerweile war ich 16 Jahre alt. Ich wohnte nun mit meiner zwei Jahre jüngeren Schwester in einer separaten Wohnung direkt neben der Wohnung meiner Eltern. Wir waren praktisch nur durch den Hausflur getrennt. Mitten in der Nacht wachte ich langsam auf. Ich war noch im Halbschlaf, als ich meinen Blick durch mein Zimmer schweifen ließ. Auf den ersten Blick kam mir nichts komisch vor, jedoch auf den zweiten Blick umso mehr. Von meinem Bett aus konnte ich den ganzen Raum betrachten. Der Rollladen war wie jede Nacht oben, und der Mondschein konnte den Raum gut ausleuchten. Auf der gegenüberliegenden Seite von meinem Bett stand links im Eck ein Fernseher und etwas weiter rechts davon ein einfaches Holzregal. Zwischen Fernseher und Regal war ein Stück Wand immer frei und gut zu sehen. In jener Nacht war das allerdings nicht so. Ich konnte die weiße Wand dazwischen nicht mehr sehen und öffnete die Augen etwas weiter.
Wenn ich mich daran erinnere, laufen mir immer noch kalte Schauer den Rücken herunter. Ich versuchte auszumachen, was der Grund für meine »verkehrte« Wahrnehmung war, und vermutete sogar einen Eindringling in meinem Zimmer. Ich sah die Konturen eines großen Mannes, und als ich erschrocken und verängstigt das Nachtlicht neben mir anschaltete, war plötzlich niemand mehr zu sehen.
Die Wand war wieder wie gewohnt zu sehen. Ich atmete tief durch und schaltete das Licht wieder aus. Nichts. Die Wand war zu sehen, und es geschah auch nichts weiter. In den nächsten zwei Stunden konnte ich nicht mehr schlafen und beobachtete mein Zimmer genau, konnte aber nichts Auffälliges mehr ausmachen. Ich schlief ein und berichtete am nächsten Morgen niemandem von meinem Erlebnis.
Es muss etwa drei Monate später gewesen sein – die Gegebenheiten waren dieselben. Rollo oben, eine helle Nacht und ein langsames Erwachen mitten in der Nacht. Wieder sah ich die Konturen, genau an derselben Stelle, und wieder merkte ich es nicht auf den ersten Blick. Die »Person« stand einfach nur an dieser einen Stelle und rührte sich kein Stück. Diesmal war ich etwas gefasster und zügelte meine Unruhe. Ich sah den Schatten genauer an und führte meine Hand langsam zum Lichtschalter. Ich schaltete das Licht an, und der Schatten war verschwunden. Wieder konnte ich es mir nicht erklären.
Der dritte Vorfall ereignete sich erst ein Jahr später. Die Verhältnisse waren ähnlich wie in den ersten beiden Fällen, aber auf eine seltsame Art und Weise war ich diesmal nicht von Angst befallen. Nein, ich war sehr ruhig, blieb liegen und schaute den Schatten einfach nur an. Nach etwa fünf bis zehn Minuten konnte ich die Konturen des Mannes einer mir bekannten Person zuordnen. Größe und Statur glichen denen meines verstorbenen Opas fast haargenau. Jedenfalls soweit ich das aus meiner kindlichen Erinnerung noch wachrufen konnte. Ich hatte die Gewissheit, dass mir dieser Schatten nichts tun würde, und ohne dass ich es wollte, schlief ich wieder ein.
Als ich 22 Jahre alt wurde, war meine Oma wieder bei uns zu Besuch. Sie sah mich an und sagte, ich würde meinem Opa immer ähnlicher. Ich fragte, wie sie das meine, und sie verwies auf mein Äußeres und vor allem auf die Charakterzüge, die mehr und mehr den seinen ähneln würden. Ich habe das Gefühl, dass sich mein Opa tatsächlich noch von mir verabschieden und mir vielleicht sogar einen Teil von sich dalassen wollte. Ich denke jedenfalls sehr oft an ihn. Jedoch bereue ich nicht mehr, dass ich mich als Kind nicht von ihm verabschiedet hatte.
Ich habe mir beim Lesen ein paar Notizen gemacht
Weitere Kostenlose Bücher