Die Geister, die mich riefen: Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt (German Edition)
werden diesen Menschen zugeordnet. Besonders ältere Menschen berichten mir oft von solchen Erlebnissen.
»Vermissen Sie Ihren Mann?«, frage ich schließlich sehr direkt.
»Ja«, tönt es so leise wie zu Beginn des Telefonats durch die Leitung.
»Sie sollten sich helfen lassen«, sage ich. Wir besprechen mehrere Möglichkeiten, wie die Frau wieder unter Leute kommen könnte. Wir sprechen darüber, ob sie einer Gruppe zur Trauerbegleitung beitreten möchte, wir sprechen über mehr Besuche bei den Kindern oder der Kinder bei ihr, über die Nachbarn. Ich weiß, dass sich in solchen Gesprächen nicht die Welt auf den Kopf stellen lässt. Meine Möglichkeiten sind so begrenzt wie die eines jeden Psychologen, der am Telefon berät. Ich kann vermitteln, beruhigen und immer wieder versichern, wie jetzt gerade:
»Sie sind nicht verrückt.«
So einfach es klingt: Diese Versicherung hilft, wenn sie ernst gemeint ist.
Die Frau verspricht mir, sie wird sich melden, sollte sie noch einmal Fragen haben oder Hilfe benötigen.
Dieser Fall zeigt, dass ich kein Handwerker bin, dass es auch nicht für jede Geschichte den richtigen Handgriff gibt, mit dem man Bedrängnisse lösen und Ängste vertreiben kann. Meine Möglichkeiten sind durchaus begrenzt. Niemand kann die Erlebnisse der Betroffenen eins zu eins nachvollziehen, niemand kann zu hundert Prozent gültige Antworten geben. In den Gesprächen versuche ich eine Eingrenzung, eine Annäherung an das, was hilft. Ich bin abhängig von dem, was die Menschen mir im Brief oder am Telefon erzählen – nicht immer sind die Geschichten konsistent, sie haben also nicht immer Bestand. Die Sicht auf eine außergewöhnliche Wahrnehmung kann sich immer wieder ändern.
Einmal rief mich eine Mutter an, die ihr fünfjähriges Kind bei einem Autounfall verloren hatte. Es passierte auf dem Weg zum Kindergarten, der nicht weit von der Wohnung entfernt lag. Die Tochter war bei grün über eine Fußgängerampel gegangen. Ein Autofahrer hatte sie übersehen – und sie überfahren. Die Kleine war kurz nach dem Unfall gestorben.
Die Mutter war nicht dabei gewesen, als es passierte, und machte sich schwere Vorwürfe. Sie litt, weil sie ihre Tochter nicht begleitet hatte, weil sie ihr zu viel Selbstständigkeit zugestanden hatte. In ihrer Verzweiflung ging sie einige Wochen nach der Beerdigung zu einem spiritistischen Medium. Das Medium, eine Frau, arbeitete mit Tonbandstimmen: Sie spielte ihren Klienten ein Tonband mit diffusen Geräuschen vor. Die Betroffenen sollten genau hinhören, in der Erwartung, eine Stimme aus dem Jenseits zu hören.
»Ich war sehr überrascht«, gestand die Mutter mir in einem ersten Telefonat. »Aber ich habe dabei wirklich die Stimme meiner Tochter gehört. Sie hat gesagt, dass es ihr gut geht, dass ich mich nicht dauernd schuldig fühlen soll, denn ich hätte es nicht verhindern können.«
»Sie sind sich sicher?«, fragte ich damals nach.
»Ganz sicher. Es war ja ihre Stimme. Sie hat noch einmal gesagt, dass es ihr gut ginge und dass ich mir keine Sorgen machen müsse.«
»War es eine Erleichterung für Sie?«
»Es hat gutgetan. Aber lebendig macht es sie nicht.«
Ich fragte mich, was sie damit bezweckte, mich um Hilfe zu bitten. Wollte die Frau eine Bestätigung von mir, eine Vergewisserung, dass sie wirklich die Stimme der Tochter gehört hatte? Das war recht wahrscheinlich. Sie schien mir einen Rest von Zweifel in der Stimme zu haben, wollte aber doch sicher klingen. Nur: Die Bestätigung konnte ich ihr nicht geben. Gar nicht einmal deswegen, weil ich es für vollkommen undenkbar halten würde, dass es ein Jenseits geben könnte, von dem aus die Toten zu uns sprechen – genau wie alle anderen Lebenden kann ich es weder belegen noch widerlegen. Es ist allerdings vorstellbar, dass man in einer Ausnahmesituation in das Rauschen eines Tonbandes die Stimme der eigenen Tochter hineinhören kann. Die Wahrnehmungspsychologie kennt dieses Phänomen, es funktioniert wie Gestaltwahrnehmung: Das Gehirn versucht, selbst in ein Rauschen einen Sinn hineinzuinterpretieren. Es macht sich auf die Suche nach bekannten Gestalten und Stimmen.
Aber was wäre geschehen, wenn ich das der Frau auf den Kopf zugesagt hätte? Sie hätte wohl aufgelegt. Sie suchte, dieser Eindruck verfestigte sich in mir, eine Bestätigung, sie wollte sich vergewissern. Sie brauchte Halt. Nun wollte ich nicht lügen und behaupten, dass sie recht hatte. Ich wich ihrer Frage mit einer Gegenfrage
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