Die Geister, die mich riefen: Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt (German Edition)
hatte, es käme jemand in die Wohnung. Ich bildete mir ein, ich hätte einen flüchtigen Schatten gesehen, und schrie auf. Ich nahm an, meine Tochter sei bereits gekommen. Sie hat einen Wohnungsschlüssel. Als ich nachsah, war keiner in der Wohnung. Mir war ganz unheimlich zumute. Ich schiebe diese Merkwürdigkeiten auf meine überreizten Nerven, aber trotzdem hätte ich dazu gern eine fachspezifische Erklärung, wenn es überhaupt eine gibt. Ich hoffe, mit diesem persönlichen Erlebnis zur Forschung ein wenig beigetragen zu haben, und würde mich freuen, wenn Sie für meine damaligen Wahrnehmungen eine plausible Erklärung hätten. Dafür, dass Sie mir ein paar Minuten Zeit geschenkt haben, bedanke ich mich recht herzlich.
»Bitte?«, fragt mich nun eine betrübt klingende Stimme am Telefon, als ich mich bei der Briefschreiberin melde. Ich stelle mich vor und bedanke mich für ihren Bericht. Ich frage, ob sie glaube, ihr Mann habe mit den Ereignissen zu tun.
»Mir kommt es so vor«, sagt sie und spricht dabei sehr langsam und leise, ganz so, als hielte sie sich ein Taschentuch vor den Mund, »als wäre er noch nicht gegangen, als hätte er hier noch etwas zu tun.« Sie macht eine Pause. »Es kommt mir so vor, als wollte er mir noch etwas sagen.«
Die Situation scheint ähnlich wie bei dem jungen Mann zu sein, der sich sicher war, dass sein Großvater ihm die Gelegenheit geben wollte, sich endlich von ihm zu verabschieden. Diese Interpretation von außergewöhnlichen Wahrnehmungen begegnet mir immer wieder in meinen Gesprächen. Kinofilme wie Ghost haben den durchaus wahren Satz »Ghosts are unfinished business« – Geister sind unvollendete Aufgaben – im Kopf der Menschen verankert.
»Ist Ihnen die Vorstellung, dass Ihr Mann auf die eine oder andere Weise noch im Haus ist, denn unangenehm?«, frage ich die Frau weiter.
Sie zögert wieder, als müsste sie erst für sich entscheiden, ob ihr die Ereignisse tatsächlich unangenehm sind – so wirkt es in dem Brief auch – oder ob sie in Wahrheit eine Form von Zufriedenheit spürt, wenn sie ihren Mann in der Wohnung weiß und ihn mit den Vorkommnissen in Verbindung bringen kann.
»Es ist … nein«, beginnt sie. »Wenn ich wirklich wüsste, dass er es ist, der dahintersteckt, nein, dann wäre es mir keineswegs unangenehm. Gar nicht.« Obwohl ich sie nicht sehen kann, spüre ich in ihrer Stimme ein leichtes Lächeln.
Wenn es den Betroffenen möglich ist, etwas Positives mit den Wahrnehmungen zu verknüpfen, gehe ich nicht mit dem Flammenschwert dazwischen und löse diese positive Interpretation auf. In der Beratung nutze ich das, was in den Menschen selbst steckt, um den Fall zu klären. Das bedeutet nicht immer, dass ich alles bis ins Letzte erklären will – ich kläre so weit auf, wie es den Menschen guttut. Der Frau gebe ich die Begriffe »Gestaltwahrnehmung« und »selektive Wahrnehmung« an die Hand. Sie hat dann etwas, um die Ereignisse zu interpretieren.
»Ich gehe davon aus«, sage ich so sanft und nachdrücklich wie möglich, »dass sich das, was Sie erleben, so erklären lässt. Aber ich kann natürlich nicht ausschließen, dass nicht doch Ihr Mann bei Ihnen ist. Niemand kann das zu hundert Prozent ausschließen. Auch ich nicht.«
Ich persönlich bin selbstverständlich recht sicher, dass niemand aus dem Jenseits zurückkehrt, wie es etwa in Ghost erzählt wird. Aber ich kann es auch nicht mit letzter Gültigkeit beweisen. Deshalb ist es durchaus legitim, der Frau von dieser Wahrscheinlichkeit zu erzählen. Allerdings nur, wenn ihr diese Wahrscheinlichkeit hilft, die Ereignisse zu verstehen. Wenn der Betroffene die Phänomene belastend findet, wenn sich herausstellt, dass die Beziehung zum Verstorbenen denkbar schlecht war, ist die Vorstellung, er könnte noch durchs Haus spuken, unerträglich. Dann empfehle ich eine ausführliche Dokumentation des Spuks, eventuell das Aufstellen von Tonbändern und Kameras, um ihn zum Verschwinden zu bringen.
»Sagen Sie«, frage ich die Frau zum Ende des Gesprächs, »wie sind Ihre Lebensumstände gerade?«
»Ich lebe allein.«
»Bekommen Sie Besuch?«
»Na ja – sehr selten. Meine Kinder leben weit weg, ich bin alt und traue mich nach dem Tod meines Mannes nicht mehr so oft vor die Tür.«
Ich nicke für mich am Telefon. Immer wieder beobachte ich, dass Einsamkeit eine Rolle bei Geistererscheinungen spielt. Das Gehirn imaginiert die Anwesenheit von geliebten Menschen, alltägliche Vorkommnisse
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