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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Plakat entdeckt, auf dem stand: Von dieser Familie bleibt kein Tropfen Blut übrig.
    Dieser Spruch war die Ursache für Rodolfos schlechte Nacht gewesen. Im Schein der Nachttischlampe versuchte er – noch lange vor dem Morgengrauen –, die Entwicklung der brisanten Situation abzuschätzen. Irgendwoher aus der Stadt drangen zuweilen Schüsse herüber. Rodolfo stand früh und sehr erregt auf, kleidete sich hastig an und wartete ungeduldig darauf, dass wie jeden Tag endlich die Zeitungen eintrafen, die er abonniert hatte. Mangels anderer Lektüre blätterte er inzwischen in der La Vanguardia vom Montag. Er machte sich eine Notiz: Neue Erfindung von Edison prüfen: Fertighaus aus Zement. Er betrachtete die Zeichnung eines dieser Grammophone, von denen seine Frau ihm so oft erzählt hatte, nahm eine Briefkarte mit seinem Signet und begann zu schreiben.
Bitte liefern Sie sobald wie möglich ein Grammophon der Marke Victor von bester Qualität, nebst einer Schachtel Nadeln sowie einem Dutzend Schellacks nach Ihrer Wahl. Einen Scheck lege ich anbei, ebenso die Karte, die das Geschenk bei der Lieferung begleiten soll. Die Lieferadresse entnehmen Sie der Rückseite.

Mit freundlichen Grüßen,

Rodolfo Lax
    Auf einen Briefumschlag schrieb er den Namen und die Anschrift des Geschäfts: Casa Corrons, Rambla de los Estudios, 11 . Dann verschloss er den Umschlag, damit die Bestellung überbracht werden konnte.
    Statt der sehnsüchtig erwarteten Tageszeitungen traf Julián ein, der in einer Hand einen Brief und in der anderen eine Tasse Kaffee hielt.
    »Ein junger Mann mit ziemlich finsterem Gesicht hat soeben das hier für Sie abgegeben«, sagte er, während er ein Schreiben auf den Tisch legte.
    Rodolfo las mit düsterer Miene das Billett. Er brummte entrüstet vor sich hin, schüttelte den Kopf, leerte die Tasse Kaffee in einem Schluck aus und stammelte: »Wie verlieren gerade die Orientierung.«
    Er eilte die Treppe hinab, fing den Fahrer im Patio ab und wies ihn an, den Wagen vorzubereiten, um gleich aufbrechen zu können.
    »Bitte, gib das persönlich dort ab«, bat er und überreichte dem Fahrer den schmalen Briefumschlag mit der Bestellung für das Grammophon.
    Rodolfo Lax klagte über die stickige Luft, die in der Stadt schon zu dieser frühen Stunde für eine schwüle Atmosphäre sorgte, stieg mit konsterniertem Gesicht in den Wagen und verschwand, als die Glocken zaghaft zehn Uhr schlugen.
    Dies war das letzte Mal, dass Don Rodolfo sein Wohnhaus verließ.
    Fünf Wochen später, in deren Verlauf Maria del Roser sich immer wieder fragte, wie sie nur ohne diesen Mann leben sollte, der sie an jedem Tag ihres gemeinsamen Lebens glücklich gemacht hatte, wurde ein Bote der Casa Gorrons mit einem riesigen Paket vorstellig.
    »Das ist für die Dame des Hauses, eine Aufmerksamkeit von ihrem Herrn Gemahl.«
    Bei diesen Worten wäre Concha vor Schreck beinahe in Ohnmacht gefallen. Einen Augenblick lang dachte sie, der Señor, der in allem immer so genau gewesen war, kümmere sich nun vom Jenseits aus um alles. Als sie das Paket aufmachten, entdeckten sie das neueste Modell eines Victor-Grammophons, das soeben aus den Vereinigten Staaten eingetroffen war, und anbei eine Karte mit der Zeile: Für Rorró in Liebe von Rodolfo.
    Der tüchtige Julián berichtete niemals, unter welchen Mühen er an jenem aufrührerischen Morgen bis zur Rambla de los Estudios gelangt war. Aber schließlich hatte es sich gelohnt. Immerhin hatte die hindernisreiche Fahrt dazu gedient, dass der Señor seiner geliebten Rorró, seiner Rorrita oder mit welchen Koseworten er auch immer seine Frau bedachte, die nun für immer und für alle Doña Maria del Roser Golorons, verwitwete Lax, sein würde, einen letzten Wunsch erfüllte.

    Amadeo Lax Golorons traf am Vormittag des 2. August zu Hause ein. Er hatte die Rückreise aus Rom allein und mit der Postkutsche angetreten und höchstens dann eine Pause eingelegt, wenn die Pferde gewechselt werden mussten. Als er in Barcelona eintraf, herrschte eine merkwürdige Atmosphäre in der Stadt. Überall patrouillierten Soldaten durch die Straßen, und ein beißender Brandgeruch hing in der Luft. Die Bewohner Barcelonas bemühten sich, Normalität vorzutäuschen.
    Als Amadeo schließlich im Elternhaus eintraf, verrieten nur seine verschmutzte Kleidung und seine bleichen Wangen die Zwischenfälle, die er während der letzten Stunden erlebt hatte. Sobald er den Wagenhof betrat, fragte er nach seiner Mutter. Man sagte ihm,

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