Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
dass die Señora in der Bibliothek anzutreffen sei, wo sie sich vermutlich ausruhte. Er wollte wissen, ob auch Violeta und Juan zu Hause seien.
»Sie sind noch in Caldes«, berichtete Julián. »Ihre Mutter hatte bestimmt, dass die beiden unter gar keinen Umständen die gefährliche Reise antreten. Wenn ich meine bescheidene Meinung sagen darf, Señor, ich glaube, sie hat recht. Das, was wir in letzter Zeit erlebt haben, ist einfach furchtbar.«
»Was ist mit der Beisetzung?«
Felipe senkte den Blick.
»Wir haben nichts davon gehört, Señor.«
»Wo fand die Totenwache für meinen Vater statt?«
»Nirgendwo, Señor.«
»Aber man wird doch wohl wissen, wo …«
»Nein, Señor.«
»Aber Julián, was ist denn eigentlich passiert? Kann mir das denn keiner sagen?«
Der Fahrer nickte wortlos und bat, sich setzen zu dürfen. Dann begann er, mit Grabesstimme über die Ereignisse zu berichten.
»Am Dienstag habe ich Ihren Vater zum Convento de las Jerónimas in der Calle de San Antonio gefahren. Die Stadt war von diesen Irren besetzt, und es hat uns einige Mühen gekostet, dort hinzukommen. Als ich den Señor schließlich bei den Nonnen am Tor absetzte, sah alles ganz ruhig aus, vielleicht sogar zu ruhig, würde ich mittlerweile sagen. Don Rodolfo hat mir aufgetragen, zurück nach Hause zu fahren, aber ich habe ihn dort nicht gerne allein gelassen. Wie immer habe ich mich darauf eingerichtet, ihn später abzuholen. Ich habe noch gesehen, wie er durch das Tor in das Kloster ging, und dann machte ich mich in seinem Auftrag auf den Weg zur Rambla de los Estudios. Sie können sich gar nicht vorstellen, was da auf den Straßen los war. Ich weiß jetzt noch nicht, wie es mir überhaupt gelungen ist, ohne größeren Schaden dorthin und wieder zurückzufahren. Aber eine Weile später habe ich wieder vor dem Convento de las Jerónimas gehalten. Diese Irren haben mich sofort angegriffen. Sie fragten mich, ob ich der Chauffeur von Rodolfo Lax sei und mich ihrer Sache anschließen wolle. Als ich ›Nein‹ sagte, beschimpften sie mich als ›Verräter‹ und verprügelten mich. Sie hatten Fackeln und Bajonette bei sich. Einen Augenblick lang habe ich gedacht, sie würden mich umbringen. Aber sie haben mir nur den Wagen gestohlen. Mich haben sie dann an der Kreuzung der Gran Vía und der Calle de Balmes rausgeworfen. Als ich endlich zu Fuß wieder beim Kloster ankam – denn die Straßenbahnen sind ja nicht gefahren –, stand es schon in Flammen. Auf den Straßen war niemand zu sehen, aber aus jedem Fenster wurde alles beobachtet.«
»Hat dir mein Vater gesagt, warum er die Nonnen ausgerechnet an einem so unpassenden Tag besuchen wollte?«, fragte Amadeo.
»Nein, Señor. Normalerweise hat er mir nichts von seinen Plänen gesagt.«
»Und du, hast du irgendeinen Verdacht?«
»An dem Morgen hat Ihr Vater ein Billett erhalten. Nachdem er es gelesen hatte, sollte ich ihn mit dem Wagen dorthin fahren. Er sah wütend aus. Ich habe die Vermutung, dass er mit den Nonnen vom Convento de las Jerónimas Geschäfte gemacht hat.«
»Hast du gesehen, wer das Billett überbracht hat?«
»Ja, Señor. Das war irgendein ganz normaler junger Bursche, niemand Bekanntes, aber er hat stockfinster ausgesehen. Wahrscheinlich hat er für das Überbringen der Nachricht ein Almosen bekommen.«
»Meinst du, die Nonnen haben die Gefahr vorhergesehen und Don Rodolfo um Hilfe gebeten?«
»Daran habe ich auch schon gedacht, Señor. Denn andere Klöster haben die Gefahr kommen sehen. Die Nonnen dort haben sich mit Schüssen verteidigt.«
Amadeo schnaubte. Das war das Letzte, was er sich hätte wünschen können: früher als beabsichtigt aus Italien zurückzukehren und sich dann noch mit einem Tod voller Fragezeichen und einem Erbe voller Verpflichtungen befassen zu müssen.
»Señor, da ist noch etwas«, flüsterte Julián.
Amadeo blickte ihn mit fragenden Augen an.
»Sor Maravillas, die Mutter Oberin vom Convento de las Jerónimas, hat persönlich diesen Brief für Sie hier abgegeben. Dabei hat sie weltliche Kleidung getragen und sehr verängstigt ausgesehen.«
Amadeo betrachtete die eleganten Schriftzüge auf dem Briefumschlag: Zu Händen von Señor Lax junior.
»Schon gut, Julián. Du fährst morgen nach Caldes und holst meine Geschwister ab. Sag den Angestellten, dass sie die Finca verriegeln und alle sofort hierherkommen sollen. Es gibt viel zu tun. Das war alles, du kannst gehen.«
Der Fahrer war schon auf dem Weg zur Küche, als Amadeo
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