Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
etwas, was wir beide jetzt besprechen müssen?«
Maria del Roser legte die Briefkarte genau auf die Tischkante und korrigierte die Position, so dass kein Millimeter überstand. Mit der gleichen Umständlichkeit verschränkte sie dann ihre Hände im Schoß.
»Ich sehe schon, du wirst mir in der Sache mit deinem Bruder nicht weiterhelfen.«
»Mutter, Juan und ich sprechen kaum miteinander. Es ist nicht gut, wenn ich mich in seine Angelegenheiten mische. Außerdem ist er selbst alt genug.«
»Ja, er ist achtzehn … Das schlimmste Alter für einen Mann. Ein Alter, in dem man leicht sein Leben riskiert.«
»Übertreiben Sie da nicht ein wenig?«
Maria del Roser richtete nachdenklich die Briefkarte neu an der Tischkante aus.
»Ich habe mit euch beiden schon ein Kreuz zu tragen, Amadeo. Könntet ihr nicht mal Frieden schließen? So schlimm der Vorfall im Internat auch gewesen sein muss, das ist doch lange her. Schon fast zehn Jahre.«
»Sieben.«
»Sieben Jahre, zehn Jahre … Das ist doch egal. Bestimmt gibt es eine Lösung.«
Amadeo griff nach der Briefkarte der Witwe des Reeders und Kaffeehändlers und legte sie auf seine Schreibtischauflage.
»Wie geht es Violeta heute?«, fragte er. »Geht es ihr besser?«
Maria del Roser schüttelte bedrückt den Kopf.
»Sie muss sich immer noch übergeben. Conchita ist bei ihr.«
»Hat Dr. Gambús sie gesehen?«
»Ja, heute Morgen. Er hat ihr Wasserfasten verordnet. Ich fürchte, dieser Mann wird furchtbar alt. Er könnte ihr doch ein paar Pillen verschreiben, oder? Man sieht schon, die Ärzte von heute sind auch nicht mehr wie früher.«
»Ich sehe nachher bei ihr vorbei.«
Maria del Roser nahm einen Brieföffner zur Hand. Sie betrachtete ihn, wendete ihn und legte ihn wieder auf dem Schreibtisch ab. Sie griff nach einer Blechdose Füllhalterfedern, die auf einem Stapel Hefte thronte. Da stand: Perry & Co., for rapid writers. Sie stellte sie wieder ab. Dann nahm sie ein anderes Blechdöschen mit der Aufschrift: Laxen Busto. Aufgrund der Verheißungen auf dieser Dose – »aktiv«, »angenehm«, »harmlos«, »sparsam«, »verursacht weder Reizungen noch Schmerzen« – fragte sie ihren Sohn: »Leidest du etwa unter Verstopfung, mein Junge?«
Nun verlor Amadeo die Nerven.
»Bitte, Mutter! Stellen Sie das wieder an seinen Platz!«
»Das ist doch kein Grund sich zu schämen. Die Menschheit leidet seit Jahrhunderten unter Verstopfung.«
»Mutter, ich muss Sie daran erinnern, dass dies nicht mehr Vaters Arbeitszimmer ist. Sie können hier nicht einfach so hereinkommen und alles durchwühlen.«
Maria del Roser platzierte das Blechdöschen an die Stelle, an die sie zuvor die Briefkarte abgelegt hatte, und befand, dass ihr Sohn recht hatte. »Entschuldige bitte, das ist einfach die Macht der Gewohnheit.«
»Lassen Sie uns über Violeta sprechen«, griff Amadeo den roten Faden der verworrenen Unterhaltung wieder auf. »Wenn es ihr in ein paar Tagen nicht besser geht, lasse ich einen Arzt aus der Schweiz kommen, ja?«
»Der arme Mann! Warum denn von so weit her?«
»Die Schweizer Ärzte haben den besten Ruf.«
Maria del Roser betrachtete die Wände. Ihr missfiel, dass das Porträt von Concha, auf dem sie im Patio aus einem Krug Wasser in Gläser füllt, an der großen Wand hing.
»Hier müsste ein Porträt von deinem Vater hängen«, urteilte sie. »Wenn du ihn porträtiert hättest, selbstverständlich.«
»Ich überlege, hier das Telefon unterzubringen.« Amadeo deutete auf die einzige freie Wand. »Das erscheint mir passender.«
»Dein Vater hat immer gesagt, dass er mit dem Telefon in einem Raum nicht zum Arbeiten kommt.«
Amadeo seufzte. Er hatte gelernt zu respektieren, wenn seine Mutter einen dieser schlechten Tage hatte, an denen die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten sie deprimiert und nörglerisch machte und sie dazu verleitete, ihm Zeit zu stehlen. Diese Tage gehörten ebenso zu seinem Alltag wie die unausweichlichen Treffen mit Trescents oder die häuslichen Anliegen von Eutimia.
»Es ist ein Jammer, dass du dich nicht persönlich um die Geschäfte kümmerst, so wie es dein Vater wollte«, murrte seine Mutter weiter, die nun bedrückt zu der leeren Wand blickte.
»Mutter, wir haben oft genug darüber gesprochen. Warum bitten Sie Conchita nicht, Ihnen einen Kräutertee zuzubereiten? Haben Sie denn keinen Lesestoff mehr?«
Maria del Roser reagierte mit einer noch verdrießlicheren Miene.
»Nichts, worauf ich Lust habe … Es gibt einfach keine
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