Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Schriftsteller mehr wie früher.«
»Außerdem müssen Sie sich um den Gang der Geschäfte keine Sorgen machen. Meine Unvernunft findet keinen Niederschlag in den Jahresbilanzen. Ganz im Gegenteil, die Geschäfte laufen besser denn je.«
Die Mutter schnaufte tief durch, man wusste nicht, ob aus mangelndem Einverständnis oder aus Resignation.
»Vergiss das mit den Schweizer Ärzten«, sagte sie kategorisch. »Deine Schwester liegt ja nicht im Sterben. Aber versprich mir, dass du dich um Juan kümmerst.«
»Ja, schon gut, Mutter. Gehen Sie, wenn ich Ihnen das verspreche?«
»Nein, ich gehe nur, wenn du ihn beförderst. Er muss etwas zu sagen haben. Er langweilt sich.«
»Finden Sie die Position eines Fabrikdirektors gut?«
Maria del Roser lächelte. Endlich machten sie Fortschritte.
»Perfekt. Aber schick ihn nicht zu weit weg.«
»Wo hätten Sie ihn gern? In der Fabrik in San Martín? Oder lieber in San Andrés?«
»San Martín ist gut. Julián kann ihn dann an der Universität abholen und dorthin fahren, auf ihn warten und wieder nach Hause bringen.«
»In der Nachmittagsschicht. Gut. Gibt es noch etwas?«
»Jetzt mach dich nicht über mich lustig! Ihr bereitet mir schon genug Kopfzerbrechen!«
»Ich werde schon morgen mit Trescents sprechen, Mutter.«
Das Knistern der Wildseide begleitete den Abgang der Dame von der Szene. Sie wirkte zufrieden. Amadeo, der ihr mit wenigen Schritten Abstand folgte, verschloss hinter ihr die Tür mit dem Schlüssel.
»Und denk daran, noch hast du Zeit, mich zu malen«, flüsterte Maria del Roser, während sie sich matt die Treppe hochschleppte.
Aber überlassen wir nun Mutter und Sohn sich selbst und schreiten zurück, um im Geheimen das zu tun, was Amadeo befürchtet und Maria del Roser doch nicht wagt: die Ruhe der Gegenstände zu stören. Selbstredend beginnen wir dabei mit der rechten Schreibtischschublade. Und ganz konkret mit dem Papier, das Amadeo absichtlich unter den Stapel gelegt hat. Es trägt Trescents’ Handzeichen und eine viel versprechende Überschrift: Bericht über die Arbeiterin Nr. 789 der Fabrik Hilados y Tejidos Golorons e Hijos, in San Andrés, Name: Montserrat Espelleta Torres, Alter: 15 Jahre . Der Bericht ist mit Schreibmaschine geschrieben, einige Passagen sind rot unterstrichen und mehrere Worte sind eingekreist: »15«, »fröhlich«, »jüngere Schwester«, »Rebellion«, »wohlproportionierte Figur«, »Couplets«. Dabei liegt ein Gruppenfoto von den Fabrikarbeitern, auf dem die Gesichter der einzelnen Arbeiter nicht zu erkennen sind, doch jemand hat mit Bleistift auf die Rückseite geschrieben: Montserrat Espelleta Torres, die 1. Person von rechts in der 2. Reihe . Der Bericht ist schon alt: Er stammt aus dem Februar 1910. In den zwei Jahren, die er auf Amadeos Schreibtisch liegt, ist er längst obsolet geworden.
Zwischen den Papieren liegen Rechnungen mit astronomischen Beträgen von Restaurants, Hotels, Schneiderinnen, für Pelze, Schmuck, Mietwagen … Zwischen einigen liegt versteckt eine Visitenkarte von Octavio Conde mit den Zeilen:
Lieber Freund,
mit herzlichem Dank für deine Aufmerksamkeit und Diskretion gestern Nacht. Die Señorita war ein exquisiter Happen, wie du angekündigt hast. Jetzt haben wir beide auch noch den gleichen Geschmack! Ein Hoch auf den Kommunismus in Liebesdingen! Bitte, vernichte dies Schreiben. Ich glaube, ich bin immer noch berauscht.
Es gibt auch eine Besitzurkunde für eine Wohnung in der Rambla de Catalunya. Nicht von den Ausmaßen, die den Sitten und Gebräuchen der Lax’ entsprechen, aber riesig für die Bewohner zukünftiger Zeiten. Es gibt Rechnungen für Möbel, Dessous, Körperpflegeartikel und sogar für ein Bett nach Maß – dem Maß der Begierde –, alles in El Siglo mit der größten Diskretion erstanden, ohne irgendjemanden zu kompromittieren. Es gibt Eintrittskarten für Konzerte, Kinos mit Variété, Kabaretts, fast alle für Etablissements an der Avenida del Paralelo. Es gibt ein Foto mit einer hieroglyphischen Widmung von Raquel Meller und auch eine kleine mit Kokain gefüllte Blechdose, deren Deckel verspricht, ein Wundermittel gegen Magenbeschwerden nach der Rezeptur von Apotheker Dr. Creus zu enthalten.
Es gibt Bilanzen der Banco de Barcelona mit schwindelerregenden Zahlen, Berichte von Aktionärsversammlungen, Glückwünsche von befreundeten Unternehmern zum erreichten wirtschaftlichen Erfolg, Listen von Kunden in Europa, Amerika und Asien … Dutzende Seiten voller
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