Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
deine …«
Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte Beifall geklatscht. Aber stattdessen habe ich ihm einen Kuss auf seine frisch rasierte Wange gegeben und mir eine Träne abgewischt. Amélie war auch gerührt und musste sich schnäuzen. Ich glaube, die ganze Szene hat den Kellner erschreckt, der für solche Vertraulichkeiten anscheinend nicht gemacht war.
Das war wirklich ein würdiger Abschluss für das Festessen, bei dem ich dich zu gerne dabei gehabt hätte.
Deine gerührte und erschöpfte
Vio
La luz del porvenir. Revista de estudios psicológicos y ciencias afines
(Das Licht der Zukunft, Zeitschrift für psychologische Studien und verwandte Wissenschaften)
Nr. 272, Juni 1934
In Abwesenheit und in Erinnerung an Maria del Roser Golorons de Lax.
Ein Vortrag zum ehrenden Gedenken, gehalten von Teresa Brusés de Lax, beim letzten Spiritistenkongress in Barcelona (Auszüge).
Heutzutage gelten Don Allan Kardec, der Vizconde de Torres-Solanot, Don Miguel Vives oder Doña Amalia Domingo Soler als Begründer unserer Wissenschaft. Doch ich möchte in meinem Vortrag auf die Bedeutung meiner verstorbenen Mentorin eingehen, an die sich sicher viele erinnern werden: Es geht um Doña Maria del Roser Golorons, die Witwe von Don Rodolfo Lax.
Diese Frau hat keine Werke hinterlassen, die die Regalbretter in Bibliotheken schmücken, noch hat sie sich an hitzigen Diskussionen mit irgendwelchen Kirchenführern beteiligt. Aber sie hat zeit ihres Lebens ebenso zielstrebig wie diskret die Saat für ihre Ideale ausgesät und es verstanden, in ihren zahlreichen Zuhörern das Feuer für diese Ideale zu entfachen: die Gedankenfreiheit, die Klarheit von Ideen und die Unsterblichkeit des Geistes.
Ich hatte das große Glück, bis zu ihrem Ende an ihrer Seite sein zu dürfen, und ich kann Ihnen versichern, dass Doña Maria del Roser getreu ihrer Vorstellung und im Beisein der Geister ihrer am meisten geliebten Angehörigen verschieden ist. Auf dem Sterbebett hat sie mir das Staffelholz für den Wettstreit übergeben, der ihr ganzes Leben bestimmt hat. Sie ist in der Überzeugung von uns gegangen, dass diese harten Zeiten – sowohl für uns Spiritisten im Besonderen wie auch für die Welt im Allgemeinen – uns letztlich nur stärken werden.
Ich habe ihr versprochen, die mir eigene Zurückhaltung zu überwinden und den Weg zu gehen, den sie mir aufgezeigt hat. Von diesem Versprechen werden meine Worte heute hier beflügelt. Ich widme meinen Vortrag dem Gedenken und der Erinnerung an eine Frau, die ich immer als einen der besten, großzügigsten und klügsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte, in meinem Herzen tragen werde. Dass sie die Mutter meines Ehemannes gewesen ist, betrachte ich als einen glücklichen Zufall.
[…]
Nach allem, was hier bislang gesagt worden ist, denke ich, dass es viele Anliegen gibt, die unser Streben und unsere absolute Hingabe erfordern. An allererster Stelle möchte ich den Pazifismus nennen. Wir müssen in der Lage sein, die Gesellschaft von unseren Idealen zu überzeugen: eine Welt ohne Waffen, ohne Todesstrafen, ohne politische Grenzen, eine Welt, die auf der Zusammenarbeit von Individuen gründet! Und deswegen müssen wir für die soziale und die kulturelle Revolution kämpfen, die aus uns selbst entsteht und nicht von Regierungen oder Institutionen aufgezwungen ist – damit meine ich selbstverständlich auch die katholische Kirche, die wir respektieren, auch wenn wir ihre Gesetze nicht befolgen.
Außerdem dürfen wir Frauen uns nicht weiter dem Diktat der Männer unterordnen. Wir müssen lernen, dass wir freie Menschen sind, und wir müssen lernen, unsere Freiheit auch auszuüben, indem wir unsere eigenen Entscheidungen treffen und folglich auch für unsere Irrtümer selbst geradestehen. Nur wer selbständig denkt, kann sich zuweilen irren. Wir müssen endlich aufhören, ewig kleine Mädchen zu sein. Wir lehnen die derzeitigen Erziehungsweisen ab, die Frauen ohne Bildung hervorbringen, die sich nur im eigenen Haushalt und im gesellschaftlichen Leben bewegen können. Wir wollen das Gleiche lernen wie die Männer. Wir haben das Recht, die gleichen Bücher zu lesen und die gleichen Arbeiten zu leisten. Und wir haben Anspruch – warum eigentlich nicht? – auf die Gleichstellung bei einigen öffentlichen Handlungen, wie beispielsweise Beisetzungen, von denen wir bislang wegen unserer Natur ausgeschlossen sind, als ob unsere Anwesenheit eine Schande wäre.
[…]
Zum Schluss möchte ich
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