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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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der Rose und ließ die Arme schlaff auf ihren Schoß fallen.
    »Du musst etwas essen«, redete Antonia ihr zu.
    Die Antwort war eine vor Ekel verzogene Grimasse.
    »Ich kann nicht. Ich bekomme nichts hinunter.«
    Antonia verbarg ihr Missfallen nicht: »Du wirst noch krank, wenn du nichts isst.«
    In dem Moment klopfte es an der Tür, und Teresa rief: »Herein!« Es war Concha.
    »Guten Morgen, Señora Lax«, grüßte sie, während sie die Tür hinter sich schloss. »Señora Lax möchte zum Tag des Buches zu den Ramblas fahren und sich die Stände ansehen. Sie lässt Sie fragen, ob sie den Wagen von Señora Lax benutzen kann und ob die Señora uns begleiten möchte.«
    Antonia reagierte auf die Doppelung der Namen spontan mit einem Lächeln.
    »Ich warte noch auf Señor Lax«, antwortete Teresa, von den missklingenden Wortwiederholungen angesteckt. »Ich vermute, der Señor ist zum Abendmahl der Acht-Uhr-Messe gegangen. Bis er wiederkommt, weiß ich nicht, ob wir Verpflichtungen haben. Der Wagen ist selbstverständlich kein Problem.«
    Der Wagen war deswegen kein Problem, weil Amadeo es in letzter Zeit wie ein kleiner Junge genoss, seine letzte Errungenschaft eigenhändig zu steuern – einen Rolls Royce Silver Ghost, den manche für das beste Auto der Welt hielten. Er hatte ihn zur gleichen Zeit aus London kommen lassen, in der die Banco de Barcelona in Konkurs ging, und ihn deshalb vorsichtshalber mehrere Monate versteckt gehalten. Seitdem er beschlossen hatte, dieses Auto selbst zu steuern, beschränkten sich Juliáns Dienste darauf, die Damen der Familie Lax auszufahren und unvorhergesehene, dringende Dinge zu erledigen.
    Sobald Concha wieder weg war, begann Teresa, sich anzukleiden. Die Unterwäsche, das Seidenhöschen und das Paar Seidenstrümpfe lagen auf dem Bänkchen vor der Ankleide. Wie jeden Tag hatte Antonia alles sorgfältig vorbereitet. Teresa rührte den Kaffee nicht an und betrachtete lustlos die Kleidungsstücke. Die Kammerfrau protestierte, aber ohne Erfolg. Die junge Señora hatte nur Augen für den Himmel.
    »Siehst du? Es klart auf. Es konnte auch gar nicht anders sein!«
    Zwanzig Minuten später klopfte Teresa an die Tür des kleinen Salons ihrer Schwiegermutter. Sie trug ein lachsfarbenes Ensemble aus Rock und Bluse zu Columbia-Schuhen mit Absätzen im Louis-quinze-Stil. Sie sah bezaubernd aus.
    Maria del Roser hatte keinen guten Tag. Die junge Frau erkannte das sofort an der Bestimmtheit ihrer Antwort.
    »Ach, du bist das. Conchita hat mir schon gesagt, dass du uns heute, an Sant Jordi, nicht bei unserer Spazierfahrt begleiten wirst.«
    »Ich kann nicht. Möglicherweise muss ich Ihren Sohn zum Empfang in der Generalitat oder später zum Salve begleiten. Ich weiß noch nicht, was er für Pläne hat.«
    »Das weißt weder du noch sonst jemand, meine Liebe. Ich glaube, der einzige Plan meines Sohns besteht darin, unsere Pläne zu vereiteln.«
    Teresa gab keine Antwort. Concha schloss gerade eine dreisträngige Zuchtperlenkette über dem Ausschnitt von Doña Maria del Roser, die das Geschehen über einen Blick in den Spiegel guthieß. Dann puderte die ältere Señora ihre Nase, betrachtete ihr Profil, richtete eine rebellische silbergraue Locke und gab einen tiefen Seufzer von sich.
    »Ach, dagegen gibt es kein Mittel«, sagte sie, wobei unklar blieb, ob sie damit ihren Anblick oder ihren Sohn meinte. »Setz dich, Mädchen, trink noch einen Schluck Tee.«
    Maria del Roser kümmerte sich persönlich um ihre Schwiegertochter: Sie schenkte einen ordentlichen Schluck Tee ein und gab drei Löffel Zucker sowie Milch hinzu.
    »Das wird dir guttun. Bei deinem Anblick bekommt man ja Mitleid.«
    Teresa probierte den Tee. Sie nahm einen Schluck, verzog die Lippen und stellte die Tasse auf den Tisch zurück.
    »Ach, wie schön«, sagte die Matriarchin, »ich bin heute mit klarem Kopf aufgewacht.«
    Teresa lächelte und freute sich aufrichtig. Vor ein paar Jahren hatten bei ihrer Schwiegermutter die ersten Gedächtnislücken eingesetzt. Am Anfang schien es nichts Ernsthaftes zu sein, nur ein paar belanglose Ausfälle; immer wieder hatte sie plötzlich vergessen, wo sie Sachen hingelegt oder was sie für den nächsten Tag geplant hatte, ihr fielen Namen von Verwandten nicht mehr ein, die sie selten sah, oder sie verwechselte die Namen von neuen Hausangestellten. Nichts, was ihr – trotz ihres regen Geistes – nicht schon zuvor unterlaufen wäre. Doch an einem Tag war sie unpässlich aufgewacht und hatte

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