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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Zeit, in der Señor Lax seinen Bericht über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten erstellte. Señorita Espelleta bot ihm ihre Hilfe an, und sogleich entstand zwischen den beiden jungen Leuten – ähnlichen Alters – eine Freundschaft. Die übrigen Arbeiter bestätigen, dass die beiden jungen Leute sich oft geküsst haben, ohne dass ich dies mit eigenen Augen gesehen habe. Zu Weiterem ist die Beziehung nicht gediehen.

XX
    Am 23. April 1932 ging Laia um acht Uhr morgens mit der Blumenschere in der Hand in den Patio, steuerte direkt den gelben Rosenstock an, begutachtete die vielen Blüten, entschied sich für eine Knospe, die sich erst vor kurzem geöffnet hatte, und schnitt sie so ab, wie ihre Mutter es sie gelehrt hatte: genau über einem der Augen, wobei sie achtgab, dass sie sich nicht an den Dornen stach und dass der Stängel lang genug war, damit die Blüte gut aufblühen konnte. Mit der Rose in der Hand eilte sie in die Küche hinab, wo Antonia gerade das Tablett mit dem Frühstück für Señora Teresa richtete.
    »Darf ich sie in die Vase stellen? Bitte, bitte«, flehte das Mädchen.
    Die ältere Kammerfrau willigte mit einer Geste ein. Mit einer ungewöhnlichen Sorgfalt knipste Laia vom unteren Teil des Stängels die Blätter und Dornen ab und stellte ihn in die kostbare Porzellanvase, die bereits auf dem Platzdeckchen bereitstand. Ihre Augen funkelten vor Freude.
    Dies geschah, ohne dass außer Laia und Antonia es jemand bemerkte. Vicenta werkelte schon mit ihren Töpfen, Carmela war in den oberen Stockwerken zugange, und Julián knabberte an einer Scheibe Brot mit Olivenöl und versuchte, die satirische Seite der Zeitung zu lesen, während Higinio ihn mit Worten provozierte, die wie eine Diskussion in einem Parlamentsausschuss in Madrid klangen.
    »Meine Güte, ihr Katalanen seid ganz schön empfindlich! Könnt ihr nicht einfach in einer Verwaltungsregion der Republik leben wie alle übrigen Spanier? Nein, ihr müsst unbedingt einen eigenen Staat haben! Was für einen Staat denn? Einen Staat von Fanatikern, die die Unabhängigkeit ihres Badezimmers proklamieren und danach ein Referendum veranstalten, damit das Volk sie unterstützt! Und das Volk macht dabei auch noch mit! Denn das ist das Höchste hier: sich von den anderen zu unterscheiden. Ihr wollt unbedingt eine andere Sprache haben und andere Richter. Ihr wollt ja sogar eigene Gesetze. Und wehe, wenn einer dagegen aufmuckt! Wofür wollt ihr euch eigentlich noch mit den restlichen Sterblichen in Spanien einigen?«
    Julián war eher von der phlegmatischen Art, was aber keineswegs bedeutete, dass er keine eigene Meinung hatte oder nicht beabsichtigte, sie, wenn es sein musste, zu verteidigen – vorausgesetzt natürlich, dass ihm sein Gesprächspartner beim Sprechen nicht ins Gesicht spuckte wie Higinio in seiner Erregung. Im Moment hielt Julián es eher für angebracht, sein Frühstück zu beenden und sobald wie möglich seine Arbeit fertigzustellen, die diesen Choleriker, der für die Reparaturen im Haus zuständig war, so in Rage gebracht hatte: auf ein altes Bettlaken mit großen Lettern und in perfektem Katalanisch eine Forderung zu schreiben.
Der Verband der Fahrer und Chauffeure
fordert das Autonomiestatut, so wie es
das katalanische Volk will
    Mit dieser Botschaft und seiner üblichen Gelassenheit gedachte Julián sich am nächsten Tag zu den Türen der Banco de España zu begeben, wo die Demonstration für die Verabschiedung des Statuts beginnen sollte. Seiner Meinung nach waren die Hindernisse, mit denen die Zentralregierung in Madrid ein Gesetz sabotierte, das aus dem Willen und dem Recht des katalanischen Volkes entstanden war, ein mehr als ausreichender Grund, um seine Entrüstung öffentlich zu zeigen. Julián war davon überzeugt, dass man, sobald man in Madrid davon erfuhr, das Autonomiestatut ratifizieren und verabschieden würde, so wie es sich gehörte. Vicenta würde ihn bei der Demonstration begleiten, schließlich gehörte sie zu den dreitausend Frauen, die mit ihrer Unterschrift das Referendum für das neue Gesetz unterstützten und damit deutlich machten, dass sie, obwohl sie kein Wahlrecht hatten, ihre Stimme zu Gehör bringen wollten. Das Paar war sich zudem einig, auch Laia mitzunehmen, die trotz ihrer kaum zwölf Jahre schon die fundamentale menschliche Liebe kennenlernen sollte: die Liebe zu sich selbst.
    »Für Gefühle darf man keine Erklärungen suchen, Vicenta. Man muss ihnen einfach

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