Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
ohne Steuer und Kapitän erlöste. Glücklicherweise wurden ihre Bitten erhört. Und als sie mit ihrem herrschaftlichen Auftreten im Hause Lax begann, meinte manch ein Bewohner im Untergeschoss, dass mit ihr ein gewisser Glanz vergangener Zeiten wiederhergestellt wurde. Insofern war die Entscheidung, Antonia in Eutimias leerstehendes Zimmer einzuquartieren, durchaus naheliegend gewesen.
Nun erreichte Antonia den oberen Treppenabsatz und balancierte geschickt das Tablett auf ihrem rechten Oberschenkel, um an der Tür zu Teresas Gemächern zu klopfen.
Eine matte Stimme antwortete von innen: »Herein!«
Sobald sie eingetreten war, erkannte Antonia, dass sich die Stimmung ihrer Señora verschlechtert hatte. Teresas Lider waren geschwollen, als wäre sie in der Nacht unter Tränen eingeschlafen. Teresa versuchte, bei Antonias Anblick eine freundliche Miene aufzusetzen, aber ihr Lächeln wirkte wenig überzeugend.
Antonia, die von Laia wie einem Hündchen verfolgt wurde, stellte beide Tabletts auf den Tisch neben dem Fenster. Sie servierte den Kaffee ganz nach dem Geschmack ihrer Señora und goss eine großzügige Menge Saft in das Glas. Inzwischen war Laia hinter Teresas Rücken stehengeblieben und betrachtete sie ungeniert im Spiegel. Ihre Augen wanderten von Teresas feinen Pantoffeln mit Seidenfransen zu dem Tiegel mit Reispuder, von den eleganten Falten ihres Satinmorgenmantels zum silbernen Griff der Haarbürste, mit der Teresa ihre goldenen Locken zähmte. Laias Blick ging weiter von dem Bänkchen in der Ankleide, auf dem unter anderem mit Stickereien und Seidenspitzen verzierte Unterwäsche bereitlag, zu den halbgeöffneten Türen des Kleiderschranks, aus dem traumhafte Gaze- und Seidenstoffe herausschauten.
Als sich ihr Blick im Spiegel mit dem der Señora traf, bereitete der Schreck diesem Zauber ein Ende. Laia spürte in dem gleichen Augenblick ihre Wangen brennen, in dem Antonia ihr das Tablett mit den Getränken reichte und auftrug: »Halt es gut fest und bring es in die Küche. Und fall nicht damit.«
Laia wollte wissen, was mit der Señora los war, denn selbst ihr war nicht entgangen, dass etwas passiert sein musste. Es ging dem unerfahrenen Dienstmädchen einfach nicht in den Kopf, dass eine so schöne, so vornehme und so reiche Frau Sorgen haben könnte. Sie meinte, an ihrer Stelle würde sie alle Probleme lösen, indem sie eine Ausfahrt mit dem Wagen unternähme oder der Schneiderin ein halbes Dutzend schöne Kleider in Auftrag gäbe, passend für jede Gelegenheit. Doch offensichtlich waren Erwachsene zuweilen schwierig zufriedenzustellen (und unmöglich zu begreifen).
Als Laia das Zimmer verließ, konnte sie nur noch hören, wie Teresa Antonia frage:
»Weißt du, ob der Señor inzwischen eingetroffen ist?«
Lassen wir Laia, die sich wegen ihrer ungestillten Neugierde grämt, weiter ihren Weg zur Küche gehen, und warten wir Antonias Antwort ab: »Nein, noch nicht. Dabei ist er schon drei Tage außer Haus.«
Teresa entschuldigte ihn mit abwesender Miene.
»Bestimmt hat er Dinge zu erledigen.«
Antonia setzte zu einem Kommentar an, hielt sich dann aber zurück. Schon seit geraumer Zeit äußerte sie über den Hausherrn nicht einmal die Hälfte dessen, was sie tatsächlich dachte. Vor allem nicht gegenüber Teresa, die sie mit ihrer Meinung nicht verletzten wollte.
»Du solltest mit deinem Ehemann sprechen, Tessita«, rät sie zurückhaltend, »du musst ihm sagen, dass du mehr Aufmerksamkeit benötigst. Es ist nicht gut, dass ein Mann so viele Nächte außer Haus verbringt wie er …«
»Er hat sehr viel zu tun, Antonia. Ich habe das gewusst, als ich ihn heiratete.« Teresa lächelte, puderte ihre Nase, stand auf und ging zum Tablett. »Es ist nicht seine Schuld. Es liegt an mir. Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«
Antonia betrachtete sie wortlos. Ihr fielen durchaus einige Erklärungen ein, die sie aber verschwieg. Ihr Vorteil war, dass sie einer dieser Menschen war, die niemals ausgingen und kaum sprachen. Menschen, die wussten, was hinter den Türen passierte. Diese Menschen schenkten den Worten der anderen mehr Beachtung. Sie verstanden es, aus ihrer Intuition den größten Vorteil zu ziehen.
Teresa trank einen Schluck Orangensaft, während sie aus dem Fenster sah.
»Ob es wohl bewölkt ist?«, fragte sie sich eher selbst und schob den Vorhang zur Seite, um ihre Vermutung bestätigt zu sehen. »So ein Pech! Und das ausgerechnet heute!«
Sie schnupperte ohne rechte Begeisterung an
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